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Ulrich Middeldorf
UEBER
REINHEIT
DER *
BAUKUNST
AUF
GRUND DES URSPRUNGS
DER VIER HAUPT-RAUSTYLE
VON
P. W. FÖRCH HAMMER,
MIT NEUN BILDTAFELN.
HAMBURG.
PERTHES -BESSER <ft
1 8 5 6.
M AUK E.
DEM ANDENKEN
AN DIE FREUDE
IN WEITEN KREISEN LAUT BEZEUGTE
UND STILL GEHEGTE
OB DER GENESUNG
DES HOHEN DEUTSCHEN BAUHERRN
KÖNIGS LUDWIG VON BAYERN
UND DER HOFFNUNG
DIE VORSEHUNG WOLLE IHM GEWÄHREN
DES DENKMALS
AUF HOHEM FELS AM STOLZ WALLENDEN STROM
MAHNEND ZU KRAFT UND BEHARREN
IM EDLEN DIENST
DER FREIHEIT
DES MÄCHTIGEN DENKMALS
GROSSER KÄMPFE UND GROSSER SIEGE
VOLLENDUNG
ZU ÜBERLEBEN
IN GLÜCKLICHEN JAHREN.
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in 2013
http://archive.org/details/ueberreinheitderOOforc
I n Athen, dessen Gebiet nicht grösser war
als das Dreieck zwischen Hamburg Lübeck und
Kiel, lebte zur Zeit der höchsten, bisher nicht wieder
erreichten Bluthe geistiger Entwicklung der Architekt
Hippodamos. Er war geboren in dem glücklichsten,
jetzt fast verödeten Strich Landes, in dem Ionischen
Klein-Asien. Der Besitz einer umfassenden Bildung
stellte ihn unter die Besten seiner Zeit; in seiner
Kunst aber war er wie wenige ein Meister. Er
hatte das Glück , dass ihm die grössten architekto-
nischen Aufgaben zu Theil wurden. Nicht nur Wohn-
hauser, Staatsgebäude, Tempel, Theater hatte er zu
bauen, sondern ganze Städte. Drei unter den durch
ihre Schönheit berühmtesten Städten des Alterthums
waren nach seinem Plan und durch ihn erbaut. Wahr-
scheinlich auf Betrieb des Perikles übertrugen ihm die
1
2
Athener den Bau des Piräus, und nannten den Markt-
platz daselbst ihm zu Ehren die Hippodameia. Als
dann die Athener in der Nahe des zerstörten Svbaris
die Stadt Thurii in Unteritalien gründeten, war Hip-
podamos wieder der Stadterbauer. Zuletzt baute er
die schönste der Städte, Rhodos, auf der gleichnamigen
Insel. Freilich hatte er wohl in einer Beziehung
leichter bauen , als viele andere. Weder Privatin-
teresse noch Unwissenheit noch Laune hatten ihm
etwas darein zu reden. Seine Auctorität gründete
sich aber auch nicht bloss auf seine architektonischen
Kenntnisse, vielmehr betheiligte er sich auch an an-
dern Wissenschaften. Wie er sich mit der ge-
sammten Naturkunde beschäftigte , so war er unter
allen der erste Privatmann, der über die beste Staats-
verfassung schrieb , und jemehr im Alterthum die
Begriffe Stadt und Staat zusammenfielen, desto mehr
musste die vom Architekten zu aller Zeit geforderte
universelle Bildung ihn, den Städteerbauer, auf Fragen
führen, die mit dem Bau des Staats zusammenhingen.
Unter mehreren von ihm zuerst angeregten Ideen
werden uns vom Aristoteles drei genannt , die wir
hier erwähnen wollen. Er zuerst hat darauf ge-
drungen , dass für wichtige Erfindungen vom Staat
Belohnungen zuerkannt würden; er zuerst hat gefor-
dert , was hernach in Athen und später in vielen
Staaten ausgeführt ist, dass die Kinder der im Kriege
Gefallenen von Staatswegen ernährt und auferzogen
würden; er endlich ist der Erfinder der Apellations-
8
gerichte — da früher von einer Berufung von einem
Gericht auf ein höheres nicht die Rede gewesen war.
Wenn nun die Architektonik diesen Meister
dahin führte , dass er sich zugleich so grosse Ver-
dienste um das erwarb, worin wir einen besonderen
Ausdruck höherer Bildung erkennen, so wird es wie-
derum jeden Gebildeten anziehen, einen Blick in die
Architektonik zu werfen. In der That steht die
Baukunst mit vielen Fachern des menschlichen Wissens
in so naher Verbindung, dass Vitruv fast alle Wissen-
schaften seiner Zeit als Hülfswissenschaften der Ar-
chitektur aufzahlt. Auch giebt es vielleicht keine
Kunst, die so sehr jedermann zur Beurtheilung ihrer
Werke gleichsam herausfordert , da sie dieselben
meistens vor aller Augen .,am Wege " aufführt.
Ueberdies ist sie unter allen Künsten die ethisch
reinste. Ein Gedicht kann schlecht sein ethisch und
poetisch. Ein graphisch ausgezeichnetes Gemälde
kann in ethischer Beziehung sehr verwerflich sein.
In einem guten Bau befasst das architektonisch Gute
in sich die Correctheit und davon abhangige Schön-
heit und mit dieser eine ethische Höhe, deren innerer
Gehalt eben so unbegrenzt wie ihre Wirkung un-
messbar ist.
Indem wir nun jene Theilnahme für die Bau-
kunst und die Reinheit derselben bei der Mehrheit
der Gebildeten voraussetzen, wollen wir die Aufmerk-
samkeit derselben zunächst auf vier der bekannteren
Baustyle lenken, welche sich zugleich als die vier
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Cardinal- oder Haupt-Baustyle zeigen werden, auf den
Aegyptischen, den Griechischen, den Run d-
bogen- und den Spitzbogen -Styl.
Unsere Bildtafeln geben Proben von jedem der-
selben, die den meisten Lesern bekannt sein werden.
Auch haben viele von dem Eindruck, den jene Ge-
bäude machen, gehört oder ihn selbst erfahren, und
oft vielleicht in Kunstgeschichten gelesen , dass die
Absicht j diesen Eindruck hervorzubringen , die Ur-
sache und der Anfang der Erfindung des Styls sei.
Von den Aegyptischen Tempelbauten wird uns in
einem ausgezeichneten Werk gesagt , sie seien auf
Ernst und Schweigen berechnet, die schräg
gerichteten Aussenseiten sollten dazu dienen, um die
festeAbgeschlossenheit des Tempels aus-
zusprechen, — oder es soll der Grund für die
schräge Richtung der Mauer bei diesen Gebäuden
augenscheinlich in der Sorgfalt für die Solidität mit
Rücksicht auf die steigenden Wasser des
Nils liegen. — Endlich heisst es : darin liegt die
Meisterschaft der Urheber jener Bauten, dass sie den
richtigen Ton , der so genau mit den Umgebungen
(den weiten Bergzügen , dem grossen Strom , dem
ungetrübten warmen Lichte der südlichen Sonne)
harmonirle, zu finden wussten. Ja, derselbe Schrift-
steller geht so weit zu behaupten, dass Zeichnungen
dieser Gebäude auch diejenigen, die die Gegenden
nicht gesehen, den Charakter jener Natur besser
kennen lehren, als landschaftliche Zeichnungen.
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Von den Griechischen Tempeln, namentlich von
dem Dorischen Baustyl sagt ein Anderer: die Ein-
fachheit dieses Stammes in Sitte und Lebensweise,
das Gediegene seiner körperlichen und geistigen Con-
stitution drückt sich in seiner Architektur aus. Und
einer der ausgezeichnetsten Bearbeiter der Griechin
sehen Tektonik giebt sich alle Mühe, um dem Do-
rischen Stein bau den Ruhm der Ursprünglichkeil
zu gewinnen , und die Idee einer Nachbildung der
Holzconstruction von diesen Tempeln zurückzuweisen.
— Dagegen soll der Ionische Baustyl mit seinen
leichteren schlankeren Säulen, deren Basen und ver-
zierten Capitalen aus dem leichteren Character dieses
Stammes hervorgegangen sein , ganz gesondert von
dem alteren Dorischen Baustyl, dessen Säulen manche
gerne aus Aegypten herleiten möchten , obgleich bei
diesen ausser der aufrechten Stellung alles andere
anders ist.
In Rom finden wir vorherrschend den Gewölb-
bau mit Kreis- oder Rundbögen. Von dieser
Architektur heisst es , als hervorgegangen aus dem
Character des Volks , sie sei stolz , emporstrebend,
machtig, kühn, den Zeiten trotzend. (Ihre Werke
liegen fast alle in Ruinen oder sind ganzlich ver-
schwunden.)
Endlich im Spitzbogen offenbare sich die
christliche Baukunst. Die zum Himmel hinauffüh-
rende Religion habe die zum Himmel aufstrebenden
Säulen und Spitzbogen geschaffen.
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Wir bedauern nun alle diese Salze, sofern sie
den Ursprung, die Genesis der Baustyle angeben
sollen , bekämpfen und verneinen zu müssen Auf
die Wahl des schon vorhandenen Styls und die
vollendetere Ausführung des Bau's mögen in einzelnen
Fallen einige jener Ideen , und namentlich in Be-
ziehung auf den Spitzbogen - Styl , Einfluss gehabt
haben \ auf die Erfindung des Styls , auf dessen ur-
sprüngliche Anwendung haben sie keinen Einfluss gehabt.
Wir werden nun die genannten vier Baustyle
einer näheren Betrachtung unterziehen. Indem wir
auf die weitläufige Widerlegung fremder Meinungen
verzichten , werden wir suchen aus den Anfängen,
aus dem ersten Entstehen der Baustyle ihr Wesen
und ihre Unterschiede begreiflich zu machen. Wir
bauen dabei auf den alten und bekannten Satz dass
der Anfang die Hälfte des Ganzen.
Wrer ein Gebäude, ein Staatsgebäude oder eine
Wohnung oder einen andern Bau aufführen will, der
sucht sich erst über das Ziel, den Zweck des
Ganzen und die Beziehung der Theile zu diesem
Ganzen klar zu werden. Er macht sich ein Pro-
gramm für seinen Bau. Dies ist der erste Anfang.
Dieses Programm übergiebt er dem Baumeister.
Der Baumeister ist der zweite Anfang , die zweite
Bedingung, Urheberschaft des Bau's. Der Baumeister
entwirft nun nach diesem Programm einen Plan über
die Form des Gebäudes. Zugleich bestimmt er das
Material, aus dem das Gebäude in der angege-
7
benen Form ausgeführt werden kann und soll, Die
Form ist die dritte, das Material ist die vierte Ur~
bedingung, Ursache des Bau's, ohne welche der Bau
nicht zu Stande kommen kann. Zu den materiellen
Bedingungen gehört nun aber bei jedem vernünftigen
Bau nicht bloss das Baumaterial , sondern auch die
climatischen und alle localen Verhältnisse , in und
unter welchen der Bau auszuführen ist. Wird nun
der Bau wirklich ausgeführt, so kehrt sich gewisser-
massen die Reihenfolge dieser vier Anfänge des Baus
um, Zuerst ist der gesammte materielle Anfang,
Raum , Lage , Klima und Material , Holz und Steine
u. s. w. vorhanden oder herbeizuschaffen. Das Ma-
terial muss selbstverständlich für einen Bau empfäng-
lich sein. Aus flüssigem Wasser , aus trockenem
Sand kann man kein Haus bauen. Das zweite ist
die Form , der Bauplan , wie wir es wohl nennen.
Allein aus diesen Beiden wird auch noch kein Haus.
Es muss der Baumeister als die causa efficens , die
bewegende Ursache, hinzukommen, der jenes Material
in die bestimmte Form bringt und zusammensetzl.
und zwar muss Material und Form vom Bau-
meister so zusammengesetzt werden , dass daraus
das ursprüngliche Ziel z. B. ein zweckmässiges Haus
oder ein zweckentsprechendes Staatsgebäude hervor-
gehe.
Wir fragen nun , in welcher oder in welchen
von diesen vier nach der Lehre des Aristoteles
aufgestellten ursprünglichen Bedingungen 'jedes Bau's
8
liegt dasjenige^ was wir den Baustyl nennen? Offen-
bar nicht im Zweck. Es giebt z. B. christliche
Kirchen nicht nur im Spitzbogen-Styl, sondern eben
so viele und ältere als jene im Rundbogen - Styh
und gegenwärtig sehr viele namentlich in England im
Griechischen Styl und in allen drei Arten des letz-
teren. Gleichwohl kann der Zweck auf die Wahl
des Styls Einfluss haben . wie wir sehen werden.
Auch der Baumeister kann diesen oder jenen Styl
wählen , allein seine Eigenschaft als Baumeister ist
durchaus nicht Bedingung oder Wesenheit des Styls.
Es kann ein Baumeister ganz gegen seine Ansichten
und im Widerspruch mit seinen Erfahrungen ge-
nölhigt sein , in einem vorgeschriebenen Styl zu
bauen; ein anderer hat eine besondere Neigung,
vielleicht auch Fähigkeit, bald in diesem bald in
jenem Styl zu bauen ; ein dritter mischt eine Menge
verschiedener Style an demselben Gebäude zusammen.
Dabei ist nicht ausgeschlossen , dass ein Baumeister
in einem bestimmten Styl so baut, dass man den
Meister an dem Werk erkennt. Von diesem be-
sonderen Styl oder richtiger dieser besonderen „Ma-
nier" innerhalb eines Styls ist hier nicht die Rede.
Dagegen zeigt sich einem jeden gleich , dass die
Verschiedenheit der Style hauptsächlich in der Ver-
schiedenheit der Form liegt: die Verschiedenheit der
Form aber ist , wie wir sehen werden , am wesent-
lichsten bedingt durch das Material, und so werden
wir sagen*, der Baustyl beruht auf der wesentlich
9
durch das Material bedingten Form unter dem Ein-
fluss des Zwecks und der Individualität des Bau-
meisters , und 5 fügen wir hinzu , unter dem Einfluss
der Nationalitat, des Zeitgeistes, der Mode u. s. w.
Einer der ältesten Baustyle , zugleich ein sehr
bestimmt ausgeprägter, ist der Aegyptische.
Derselbe zeichnet sich besonders aus durch die
schräge Richtung der Mauern, die sich über einem
nur scheinbaren , mit kleinen gleichsam aus dem
Boden wachsenden Blumen verzierten Sockel erhebt.
Die zum Theil sehr hohen Wände dieser Mauern
sind mit Relief - Figuren geschmückt, deren
Masse nicht über die Fläche der Mauer hervorragt,
und welche dadurch zum Relief werden , dass die
Umrisse in leiser Rundung in die Fläche der Mauer
eingesenkt sind. Die Ecken der Mauern sind
von unten bis oben mit einem aus einer Anzahl dün-
ner Stäbe gebildeten und mit Bändern umwundenen
und zusammen gehaltenen Rundstabe verziert. Die
Dachung ist flach und ragt in einem einlachen
stark vortretenden Hohlkehlengesimse über die
Mauer hervor. Licht und Luftöflnungen sind spär-
lich und klein. Säulen finden sich im Innern zahl-
reich , aber ausserhalb der Mauer zur Bildung von
offenen Hallen keine. Wir fragen zunächst nach
10
der Entstehung dieser Bauart, und suchen uns über
die materiellen Bedingungen des Baus in Aegypten
m orientiren.
Aegypten ist im Grunde nur ein grosses Fluss-
bett zwischen der s. g. Libyschen und Arabischen
Wüste. Schon Herodot macht die richtige Bemer-
kung, das Wesen des wechselnden Wasserstandes
des Nils bestehe nicht darin, dass der Fluss jährlich
austrete, und das Land überschwemme, sondern um-
gekehrt darin , dass die Wassermenge einen Theil
des Jahres sich so sehr vermindere, dass der Nil
den grössten Theil seines Bettes ( d. h. des ägyp-
tischen Landes ) verlasse und sich in sein kleines Bett,
das gewöhnliche Nilbett, zurückziehe. Dasselbe sagte
das Orakel , als es befragt antwortete : soweit der
Nil reiche, soweit erstrecke sich Aegypten. Städte,
Dörfer, Häuser wurden und werden auf natürlichen
oder künstlich aufgeworfenen Höhen errichtet, welche
sich wie Inseln in dem grossen Nil erheben oder
wie Halbinseln von der Abdachung der beiden Wü-
sten in denselben hineinerstrecken. Am grössten ist
der Nil gegen die Herbstgleiche. Von da an zieht
er sich allmählich in sein kleineres Bett zurück, bis
er mit dem Sommersolstiz hauptsächlich in Folge des
Schmelzens des Schnees auf den hohen Gebirgen an
seinen Quellen und nördlich von diesen, und in Folge
der tropischen Regen wieder zu wachsen anfängt.
Die Erdtheile , welche er mit sich führt , lösen sich
in Sand und Thon auf. Der schwerere Sand sinkt
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alsbald zu Boden, und wird am Grunde des kleineren
tieferen Bettes durch die stärkere Strömung fortge-
schleift. Der leichtere Thon wird durch die über-
schwemmenden Gewässer über den bisher trockenen
Boden getragen, und bildet zumal bei dem geringen
Fall des Flussbett's einen lehmigen fruchtbaren Nie-
derschlag. Daher ist der Boden des ganzen ägyp-
tischen Landes ein fetter thonreicher Lehmboden.
Es ist begreiflich, dass die Pflanzenwelt in diesem
Lande hauptsächlich der Wasser- Vegetation angehört.
Rohr und Dattelpalmen sind daher durchaus vor-
herrschend; und an grösseren Baumarten, deren Holz
zu Bauten verwendbar wäre, giebt es im Grunde nur
eine, die Palme. Wiewol dieselbe eine bedeutende
Höhe erreicht und ihre Stämme eben so dick werden,
als die anderer Bäume , welche zum Bau dienen, so
sind sie doch ihrer Natur gemäss sehr biegsam, nicht
nur in der Gestalt von Bolen , sondern auch in der
Form, in der sie vielfältig zur graden Ueberdachung
der Wohnungen verwandt werden , indem man sie
der Länge nach in zwei Hälften spaltet.
Da es in Aegypten, namentlich in Mittelaegypten
nicht regnet, noch weniger schneit, so bedurfte
man keiner schrägen Dächer und konnte also mit
den Balken der Palmen ziemlich grosse Räume über-
dachen, wenn man sie nur durch Stützen, Mauern
oder Säulen, gegen zu starkes Biegen oder Brechen
schützen konnte. Nur im nördlichen Delta, bei den
Pyramiden, an denen die vom Mittelmeer gen Süden
12
ziehenden Wolken gebrochen werden« und vielleicht
hin und wieder aus ähnlichen Ursachen reguet es
zuweilen. Bei der allgemeinen Regenlosigkeit des
Landes selbst würde die Hitze der auch durch
Wolken verhältnissmässig selten verhüllten Sonne un-
erträglich sein , wenn nicht in der Nacht ein starker
Thau und Nebel sich aus dem Nil erhöbe und am
Morgen niedergeschlagen würde, während zu anderer
Zeit die reinere Luft die Hitze weniger drückend
macht. Schatten gewährte zur Zeit der primitiven
Zustände die Palme mit ihrer schirmähnlichen Krone,
aus deren Blättern ohne Zweifel früh ein tragbares
Schutzdach nachgebildet wurde. Viel mehr aber
mahnte der Wind zu dem von den Palmen nicht
gewährten Schutz durch Mauern und Wände1
mochte er nun als Nord oder Süd kalt daherfahrend
mit dem Nebel des Nils sich verbinden , — denn
auch der Südwind ist zuweilen schneidend kalt —
oder mochte der heisse Süd und West mit dem
leinen Staub der Wüste über das ägyptische Land
hinwehen und denselben durch die kleinsten OefT-
nungen hindurchführen oder mochte gar der Südost
durch Sand und Staub den Tag in Nacht verwan-
deln. *)
Man brauchte also Wände mit geringen Luft-
) Eine treffliche Schrift über die klimatischen Verhältnisse
Aegyptens ist „John Antes Bemerkungen über Egypten. * Wei-
mar, 1801.
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und Lichtöffnungen, die oft so angelegt wurden, dass
durch dieselben leicht ein kühlender Zugwind erzeugt
werden konnte, während bei der hellen durchsichtigen
Atmosphäre eine kleine Oeffnung in der Mauer zur
Erhellung des inneren Raums viel leichter genügte,
als in unsern nördlichen Gegenden.
Wie baute man nun in frühester Zeit, in den
Anfängen der Cultur , ehe man Eisen kannte , und
es zu verarbeiten verstand, ehe man die Felsen unter
dem Libyschen und Arabischen Sand in Steinbrüche
verwandeln konnte, als man überhaupt noch nur da-
rauf bedacht war , sich in diesem Klima den durch
dasselbe bedingten Schutz zu verschaffen ? Ohne
Zweifel so oder ähnlich, wie es noch heute die ärm-
sten und ungebildetsten der Bewohner des Landes
thun. Dass die natürlichen Höhlen Aegyptens jemals
eine auch nur sehr dünne Bevölkerung des Landes
hätten bergen können, ist eine Fabel.
Noch heute bestehen die kleineren Wohnungen
besonders auf dem Lande aus vier Wänden mit
einem platten Dach. Die Wände sind aus Lehm
oder aus sonnengebrannten Lehmplinthen erbaut, d. h.
aus dem Boden selbst , worauf die Häuser stehen.
Weil aber der Lehm unter der trocknenden Sonne
Aegyptens besonders an der Aussenseite der Mauer
sich leicht ein weriig löst, und beim Bau dafür ge-
sorgt werden muss, dass jedes Theilchen der com-
pakten Masse der Mauer eine Unterlage habe und
dadurch getragen und gehalten werde, so wird die
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Mauer schräg gebildet, dosirt , wie unsere Marsch-
deiche und Festungswälle. Die Schrägung brauchte
aber bei weitem nicht so stark zu sein als in unserem
Klima, weil ihnen nur die Hitze, niemals aber der
Regen, noch bei ihrer erhöhten Lage die Nilüber-
schwemmung drohte. Bedacht werden diese schrägen
Lehmmauern mit gespaltenen, dicht an einander ge-
legten Palmstämmen , die bei einem gewöhnlichen
einstöckigen Hause nichts zu tragen haben. Zur
grösseren Sicherung gegen die Biegung unter ihrer
eigenen Last Hess man denselben eine solche Länge,
dass sie über die Mauer mit den Enden stark her-
vorragten. War die Thür nach Norden gerichtet,
so schloss sie die Sonne aus und Hess durch den
drei Viertheile des Jahres und besonders im Sommer
vom Meer herwehenden Nordwind Kühlung in die
Behausung , welche durch eine Luftöffnung an der
entgegengesetzten Seite und dadurch bewirkten Luft-
zug leicht vermehr wurde. Damit war das Haus
fertig. Zur grösseren Sicherung der Ecken des
Hauses mochte man einen aus dem hohen ägyptischen
Rohr oder aus Weiden gebildeten Stab mit der Lehm-
mauer beim Bau verbinden; oder es mochte die
ganze Mauer aus einem Reisergeflecht bestehen, de-
ren Enden unter dem Lehmanwurf hervorragten.
Vergleichen wir nun damit die Mauern der
Pylonen und Tempel, (Taf. I.) so scheint es ganz
klar, dass die mächtigen Steinbauten ihre Form von
jenen ursprünglichen Lehmbauten entlehnt haben.
15
Eines Sockels bedurften die Lehmbauten nicht, weil
der Boden, worauf sie standen, an sich gleichartig
aber fester war, als die Mauer. Darum haben auch
die Steinbauten keinen Sockel. Aus dem Boden
selbst wuchsen aber Graser und Blumen auf und
bildeten so eine natürliche Verzierung des unteren
Theils der Mauer. Man ahmte dies in Stein nach
und zog, wie man's auch im Lehm thun mochte, eine
Linie oberhalb der Vegetation. So bekamen jene
enormen Steinbauten eine Art Basis , die einem
Sockel nur ähnelt, die aber in der Profilirung sich
gar nicht von der gesammten Mauerflache absondert,
und deren leichte Verzierung durchaus unharmonisch
und unzweckmässig genannt werden müsste, wenn
sie nicht aus der angegebenen Erklärung ihres Ur-
sprungs sich als correct erwiese.
Auch an den Ecken der Steinbauten ahmte
man die aus zusammengebundenen Reisern oder Rohr
gebildeten Schutzstäbe nach, und zwar bis ins Ein->
zelne, so dass man sowohl die einzelnen Reiser, als
die Bänder und die Art der aus einer fortlaufenden
Schnur bestehenden Umwickelung nachbildete. Den
über die Mauer vorragenden Deckstämmen mochte
man oft zur Verzierung die Krone oder vielmehr bei
gespaltenen Stämmen die Hälfte der Krone lassen,
so dass der mit der flachen Seite nach unten lie-
gende halbe Stamm die Blätter seiner halben Krone
in die Höhe richtete, und so ein mit aufstrebenden
Palmblättern verziertes Gesimse bildete. Daher ver-
16
zierte man auch beim Steinbau das stark vortretende
nach vorne überneigende Gesimse mit Palmblattern.
Die grossen Lehmflächen der Mauern verlockten
gleichsam von selbst zum Hineinritzen von mancherlei
Figuren. Die anfangs einfachen Conturen rundete
man später ab, so dass die Figur die Form eines
Hachen Reliefs bekam. Weiter aber ging man nicht,
wiewohl man neben diesen Reliefs Statuen in ganz-
und halbrunder Gestalt aufstellte. Man beharrte
vielmehr bei derjenigen Sculptur auf Steinflächen,
welche bei den Prototypen auf Lehmflächen möglich
war. Auch die Steinsäulen im Innern der Tempel
geben sich durch die unverkennbarsten Eigentüm-
lichkeiten als Nachbildungen solcher Säulen zu er-
kennen , die ursprünglich aus Holz, aus mehreren
durch starke Bänder zusammengehaltenen Reisern
und Stäben bestanden, die man nicht in den Boden
eingrub , sondern auf runde Scheiben stellte , um
das Eindringen und Verschieben der einzelnen Stäbe
zu verhindern. Wir glauben hiemit genug gesagt
zu haben, um den Ursprung der ägyptischen Ar-
chitektur aus der Natur des Landes und des in dem-
selben sich bietenden Materials zu erklären, zugleich
das Wesen des ägyptischen Baustyls anzudeuten.
Dass man aber jene einfachsten Lehmbauten
überhaupt in Stein ausführte , dass man diese
Steinbauten in Frömmigkeit und Gottesfurcht weit
über das Bedürfniss hinaus zu jener staunenswerthen
Grossartigkeit und Erhabenheit ausbildete , welche
17
wir in den Ruinen der Aegyptischen Tempel be-
wundern, bedarf für diejenigen, die einen Cölner
Dom und tausende von christlichen Kirchen mit ihren
hohen Gewölben und himmelan strebenden Thürmen
begreifen, keiner Erklärung. — Wir verfolgen den
betretenen Weg bei der Griechischen Architektur.
Die Werke der Griechischen Baukunst
finden wir hauptsächlich in Griechenland selbst , in
Kleinasien und Grossgriechenland. Die s. g. Korin-
thische Säule dürfen wir als eine spätere betrachten.
Dagegen scheinen die Dorische und die Ionische
Architektur fast gleichzeitig aufzutreten. Die älteste
Dorische Architektur in Griechenland finden wir
hauptsächlich in nicht dorischen Staaten. Nament-
lich war es Athen , welches schon zur Zeit des
Pisistratos und wohl früher die grösseren Tempel
daheim und später auch auswärts in diesem Styl
baute. Der Name der Dorischen Bauart ist wahr-
scheinlich viel jünger, als jene Bauwerke, und ver-
muthlich anfangs nur im Gegensatz des Ionischen
Styls gebraucht, der allerdings wohl ursprünglich,
jedenfalls am ausgedehntesten, in dem kleinasiatischen
Ionien angewandt wurde. Der Griechische Tempel-
bau, sowohl der Dorische als Ionische, ist
eine Nachbildung der Holzarchitektur. Wir
glauben nicht, dass es jemals gelingen wird, der An-
2
18
sieht von der Ursprünglichkeit der Steinarchitektur
der griechischen Tempel Geltung zu verschaffen. Ist
doch in der That nicht ein einziges Glied der do-
rischen Construction, welches sich nicht als eine ein-
fache Nachbildung des Holzbau's erwiese ; und wie
dieser Ursprung die Ehre des dorischen Steinbau's
beschranke, lässt sich schwer einsehen.
Griechenland unterscheidet sich von dem klein-
asiatischen lonien wesentlich durch die Eigenthüm-
lichkeit seines Bodens. lonien ist durchflössen von
mehreren grossen Strömen, welche den Boden ihrer
flachen lang gestreckten Thalebenen bewässern und
einen Theil des Jahres die nächste Umgegend der
Städte in feuchtem Zustande erhalten. Das eigent-
liche Hellas ist durchweg ein vielfältig durchbrochenes
Gebirgsland. Die Thäler der einzelnen Staaten sind
klein , die Flüsse dieser Thäler sind sehr unbe-
deutend , und überschreiten ihre Ufer meistens nur
am unteren Ende. Die Städte mit ihren Akropolen
liegen auf der Höhe. Unter dem Erdreich stösst
man sehr bald auf den harten Fels, wie dies ja na-
mentlich von Attika bekannt ist. Ja es giebt keine
Reste eines alten Tempels, weder in Attika, noch auf
Aegina, noch in Korinth, noch in Arkadien, dessen
Fundamente nicht in geringer Tiefe den festen Fels-
boden unter sich hätten, und nicht fern wären von
jeder Berührung stehender oder fliessender Gewässer.
Von Aegypten unterscheiden sich alle Grie-
chischen Länder namentlich dadurch, dass es in den
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letzteren regnet. Und zwar regnet es so stark,
dass oft in Einer Stunde mehr Wasser vom Himmel
herunterströmt, als bei uns wahrend ganzer Tage.
So im Winter. Im Sommer dagegen ist die Hitze
wohl der ägyptischen gleich , da der grosse Fluss
fehlt mit seinen kühlenden Wasserdampfen. In
Griechenland kann man daher ohne Dach zum
Schutz gegen Beides, Nässe und Hitze, nicht
leben. Wie in Aegypten der Bau des Hauses von
der Lehmwand ausgegangen, so in Griechenland
vom Dach. Und dem Bedürfniss entsprach hier
wieder das vorhandene Material. Für eine Wand,
eine Mauer, fehlte es in den meisten Thälern Grie-
chenlands an einem unmittelbar anwendbaren Bau-
material. Aus der dünnen Erdschicht z. B. Attikas
konnte man keine Mauer aufführen. Wenige Ge-
genden waren wie Böotien durch seinen Lehmboden
begünstigt. Aus unregelmässigen Feld- und Bruch-
steinen konnte man ohne Mörtel nur eine sehr un-
sichere und zum Dachtragen ungenügende Wand
bilden. Dagegen bot die reiche Baum- und Laub-
vegetation die mannichfachsten Mittel zur Bildung
eines Dachs, und noch jüngst, oder jüngst wieder,
da im Befreiungskrieg die Mehrzahl der Häuser
zerstört war, gab es nicht wenige, die unter solchen
oft selbst ohne „Axt und Säge" gebauten Dächern
lebten. Weil es eben so im Anfang der Cultur
geschah — und diese Anfänge dauern oft neben
der Entwicklung lange fort — hat sich in der
2 *
20
Griechischen Sprache , besonders bei den Dichtern,
der Ausdruck Dach*) für Wohnung fortwährend
erhalten und ist üblicher geblieben, als das Wort
Haus (oIkoc), welches besonders mit Beziehung auf
die Bewohner, d ie Farn il i e, gebraucht wurde. Auch
das Wort domus, bezieht sich auf die Ver-
bindung des Holzes zu einem Dach und hat sich
in dieser Bedeutung der Ueberdachung, Ueberwöl-
bung bis heute in dem Wort Dom erhalten. Nach-
dem man auf Baumstämme ein. Dach gelegt, mochte
man auch innerhalb dieser Dachträger aus Geflecht
oder aus zusammengefügten Fellen oder später aus
Gewebe ein Parapetasma, eine Wand aufspannen
gegen die Einwirkung der Witterung von der Seite.
Dass nun dieses der Anfang des Griechischen
Hauses war, und dass dieser Anfang sich fortwäh-
rend in der Einrichtung des Hauses behauptete, lehrt
uns das ganze Alterthum sowohl durch schriftliche
Ueberlieferungen als durch die erhaltenen Häuser-
Ruinen , namentlich in Pompeji. Die bedeckte
Säulenhalle war der gewöhnliche Aufenthalt der
Hausbewohner, und auch später noch waren die ge-
schützteren Gemächer zum Schlafen oft durch einen
Vorhang von der Säulenhalle getrennt.
Wir meinen aber mit diesem Anfang des Hauses
zugleich den Anfang des Tempels in Griechenland
*) Ziiyri, criyog. Tragiker. Plato
Politik. 3. p. 415, e.
i xctvctl s vv « C.
21
beschrieben zu haben. Und auch hier enthalt der
Anfang die Hälfte des Ganzen. Weil man den
Baumstamm in den trocknen Boden der Höhen, auf
denen man die Tempel baute, hineingrub, darum
hat die s. g. dorische Säule keine Basis. Weil man
einen Baumstamm mit seiner natürlichen unebenen
Rinde schöner fand , als einen glatten geschälten
Stamm , darum canelürte man die Säulen. Gehen
doch die Risse in der Rinde des Baums eben so
von unten nach oben, so dass sich aus den Streifen
der Rinde von selbst nach innen gehöhlte Canäle
bilden. ( Vergl. Tafel IL ). Weil die Holzsäule
unten durch die sie umgebende Erde zusammenge-
halten wurde , oben aber vor dem Zerspalten ge-
schützt werden musste , darum machte man nicht
unten, wohl aber oben einen Einschnitt, um ein
festes Band herumzuschlingen. Weil man gerne das
obere Ende des Stammes mit den Ansätzen der
Zweige zum obern Ende der Säule machte, welches
den breiteren Abakus, die Platte, trug, auf welcher
der Architrav liegen sollte, und weil dieses gleichfalls
gegen den schweren Druck geschützt werden sollte,
darum umgab man dasselbe mit einer ursprünglich
aus einem Fell oder aus früh gebrauchtem Filz
(t/Aos) bestehenden Einfassung, einer Kapsel (Echi-
nos), die man mit mehreren Ringen (Annuli) zusam-
menschloss. Und weil alles dieses beim Holzbau
sich practisch erwiesen, machte man es bei der
Steinsäule ebenso, nachahmend zwar das Motiv, aber
22
nur typisch, wie es sich bei der Steinsäule geziemte,
die eben keine Holzsäule war. Auf den Abakus
legte man den Architrav , auf den Architrav die
Querbalken mit den , den Querschnitt schützenden,
nach den drei erhöhten Streifen benannten Trigly-
phen- Platten , zwischen denen die anfangs offenen,
dann geschlossenen Zwischenöffnungen, Metopen (pe-
TOTryj — nicht [xirooirov, wie es hin und wieder in
Kunstgeschichten heisst); — darüber das Gesimse
mit den Sparrenköpfen und der Dachrinne ; dann
das Dach selbst, welches im Giebel anfangs dem
Luftzug offen war, daher Aetoma oder Aetos, bei-
des von KT] fit, wehen. (Schon im Alterthum bezog
man den Namen theils irrig, theils vielleicht in ab-
sichtlichem Doppelsinn auf den Adler, der im Grie-
chischen von demselben Zeitwort ärj/xi seinen Namen
hat, wie im Deutschen Weihe von wehen. Ur-
sprünglich aber bedeutete Aetoma, was es war, eine
Wind- und Luft - Oeffnung.) Nichts lag näher als
die Metopen und das Giebelfeld, Aetoma, zu schlies-
sen , sie mit Figuren in Farben oder in Relief zu
schmücken. Geschah die Schliessung des Giebelfeldes
mit Fellen oder einem andern stark gespannten Stoff,
so ergab sich die Benennung Tympanum von selbst,
entlehnt von der Ueberspannung der Trommel trotz
der sehr verschiedenen Gestalt. Die Schrägung des
Dachs brauchte nur auf schnelle Entfernung des
Regens (nicht des Schnees) berechnet zu sein. Die
stärkere Neigung der Dachrinnen vermied man durch
23
Vermehrung der Löwenmäuler d. h. der Mündungen
der Dachflächen. (Taf. II. und HI.)
Wer nun nirgends , als in seiner Wohnung
oder im Gasthaus ein Glas Wasser getrunken hat,
ohne sich im Entferntesten darum zu kümmern, auf
welchem oft ebenso schwierigem als bemerkenswer-
them Wege dasselbe von der Quelle bis an des
Trinkers Lippe geleitet ist, wer niemals in einem
südlichen Klima, in Griechenland, Kleinasien vergeb-
lich nach einem Trunk Wasser geschmachtet hat,
der wird freilich kaum begreifen, dass alle Griechi-
schen Tempel neben, meistens über einer Quelle,
einem Brunnen, einer Cisterne erbaut waren. Ich
sage alle, weil es sich von einer grossen Zahl der
bedeutendsten nachweisen lässt , von Tempeln in
Athen, in Delphi, bei Mantinna, in Messene, in
Aipytis, in Korkyra, in Theben, (auf dem Kapitol in
Rom, in Mylassa, in Sais, in Bubastis, in Kom Om-
bos). Es war das heilige Wasser, welches vor allem
dem Menschen zum Heil war , über welchem die
dankbare Gemeinde dem Gott sein Heiligthum er-
richtete. So geschieht es noch heute im Orient an
unzähligen Orten. Giebt es doch kaum eine Mo-
schee , vor deren Eingang sich nicht ein Brunnen
oder eine Fontäne befindet, und ist nicht in den
Katholischen Kirchen der Brunnen oder die Quelle
noch heute im Weihbecken vorhanden? Von die-
sem fliessenden und flüssigen Wasser hat der Grie-
chische Tempel selber seinen Namen Naos (von
24
vdoo fliessen , npijvjj vocei t ddvotoQ, N«/s etc. keines-
weges von v&vq Schiff oder von vxi», Wörter die
freilich auch auf vdca zurückzuführen sind). Auch
heute benennt niemand die Kirche als solche mit
dem architektonischen Ausdruck „Schiff."
Den oben beschriebenen Tempel nannte man
den Dorischen, wie bemerkt, nicht weil er vor-
zugsweise den Doriern eigentümlich gewesen , was
nicht der Fall war , sondern weil man ihn durch
diese Benennung von den in Ionien üblichen Tem-
pelbauten unterschied. In Ionien, in jenen Ebenen
mit dem durch grosse Flüsse bewässerten Boden
forderte der Bau, der im Wesentlichen derselbe war,
einige kleine Veränderungen. Man stellte den Baum-
stamm, der zuerst als Säule diente, statt ihn in den
lockeren Boden einzugraben, auf eine grössere Basis.
Ja, auch daran hatte man nicht genug gethan. Man
suchte auch den Boden selbst durch Füllung mit
Kohlen trocken zu machen , wie bei dem Tempel
der Artemis zu Ephesos. Weil nun die Holzsäule
frei auf einer Basis stand, musste sie auch unten
gegen das Zerspalten geschützt werden. Man legte
um die Säule ein dickes Band von Flechtwerk,
welches in seiner Decoration wie in seinem Namen
((nrstpot, Strick) das Zeugniss seines Ursprungs be-
hielt. Durch die Stellung auf eine Basis wurde
derselbe Baumstamm gewissermaassen von selbst
eine längere Säule. Diese erhielt nun auch in
der Vermehrung und der Verengung der Canelüren
25
und in den zwischenliegenden Flächen den entspre-
chenden Ausdruck, wahrscheinlich in Uebereinstim-
mung mit der hier vorzugsweise angewandten Baum-
gattung. Denn wer sich nicht mit der Bemerkung
begnügt j dass die Baumrinde gewöhnlich rauh ist,
sondern genauer zusieht, wird hald entdecken, dass
sich auch die Bäume nach Dorischer und Ionischer
Canelürung unterscheiden lassen. An die Stelle des
Bandes im Einschnitt der Dorischen Säule trat zu-
erst ein Reif in Gestalt einer s. g, Perlenschnur,
den heiligen Opferbinden nachgebildet, und später
auch noch ein breiteres Band, geschmückt mit Blu-
men von Wasserpflanzen, das Anthemion. Der
Echinos blieb, allein er wurde fast verdeckt durch
das „Polster," welches man zwischen den Echinos
und Plinthos oder Abakus einschob, und welches an
den Seiten zusammengerollt und durch „Gür-
tel" zusammengebunden nach Vorne die Voluten
bildete. (Taf. III. und IV.)
Sowohl in den Namen einzelner Theile als in
der Form , trägt dieses Polster den Character eines
biegsamen Stoffs, dessen Enden zum Schutz der
Ränder zusammengerollt waren, wodurch sich in der
Form das Nützliche mit dem Schöneren verband.
Mag dies Polster ursprünglich aus Thierhäuten oder
aus einem Geflecht bestanden haben , jedenfalls war
es bestimmt und geeignet, die Last des Architrav's
und des Dachs so auf die ganze Säule zu vertheilen,
dass ein Spalten und Auseinanderdrängen der Säule
26
selbst möglichst verhindert wurde. Es ersetzte also
gewissermaassen sowohl den die Last des Architrav's
auf die ganze Säule vertheilenden Abakus , als den
diese Last aufnehmenden Echinos mit den Ringen.
Es war daher sehr wohl begründet, dass der Echi-
nos sich fast zu einem blossen Ornament verklei-
nerte. Dasselbe war der Fall mit dem Plinthos oder
Abakus, der in seiner geringeren Ausdehnung das
Hervortreten des Polsters in den Voluten begün-
stigte. Im Ganzen lag es in der Natur der Sache,
dass jede neue Zuthat zu der einfacheren Dach-
stütze als ein Wesentliches hervortrat und dass die-
jenigen Glieder , deren Dienst im Bau durch das
hinzugelügte Glied vertreten oder unterstützt werden
sollten, durch dieses neue zurückgedrängt wurden.
Ganz in Uebereinstimmung mit der freieren
Stellung der Säulen, ihrer grösseren Höhe, ihrer
weiteren Zwischenräume musste nun auch das Dach
leichter gebaut werden. Statt des schweren Archi-
travbalkens legte man zwei oder drei leichtere Bolen
übereinander, so dass zur Ableitung des Regens die
obere über die untere um weniges vortrat. Um
die Decke zu erhöhen, stellte man auf dieselben eine
Bole in die Kante (welche man später mit gemalten
oder Relief - Figuren verzierte: Zophoros) und
legte auf diese Bole keine Querbalken , sondern,
(wie es noch oft in südlichen, an grossen Bauhölzern
ärmeren Gegenden geschieht) leichtere in die Kante
gestellte Latten, die man näher zusammenrückte und
2?
deren vorspringende Enden die Zähne, Denticuli, des
Ionischen Ban's sind, — so dass also in der That
die Denticuli den von den Triglyphen verdeckten
Balkentöpfen des Dorischen Bau's entsprechen; und
wahrend die überflüssig gewordenen Querbalken
gleichsam in den Latten und die Triplyphen in den
Zähnen in die Höhe rückten , verwandelten sich die
geschlossenen Metopen mit ihren Verzierungen in
ein fortlaufendes Band mit Bildwerken. Vitruv
stellt den Bau so dar, als wenn die Denticuli zu-
gleich die Sparrenköpfe (Mutuli) nolhwendig verdrän-
gen. Er hat wohl Recht. Doch würde es hier zu
weit führen, näher auf das wie weit einzugehen.
Jedenfalls liess der Ionische Bau die Sparrenköpfe
oder ihr Analogon nicht mehr hervortreten.
Die Korinthische Bauart schloss sich eng
an die Ionische an. Die Basis und der Schaft der
Säule blieben dieselben. Allein am Capital sehen
wir eine wesentliche Veränderung eintreten, welche
sich jedoch ohne die Vetruvische Erzählung von dem
mit Blättern überwachsenen Korb, auf die einfachste
Weise aus dem Ionischen Kapital , w ie wir es an
dem Erechtheum in Athen kennen lernen, erklärt,
zumal wenn wir bedenken, dass der Erfinder des
Korinthischen Kapitäls. der wegen der Sauberkeit
seiner Arbeit berühmte Bildhauer Kallimachos , in
jenem Tempel die ewig brennende goldene Lampe
der Athene Polias gefertigt hatte. Er lebte , wie
sich auch aus anderem ergiebt, zur Zeit jenes Bau's
28
und war vielleicht selbst der Künstler, der jenes
zierliche Anthemion der Ionischen Säulen erfunden
oder ausgeführt hatte.
Jetzt betrachte man nur dieses Anthemion ge-
nau, besonders dasjenige der Säulen der nördlichen
Stoa oder das der Cella-Mauer. (Taf. IV. 4.) Man
wird leicht die Entdeckung machen, dass die Blätter
unterhalb der Lotos- und Hyacinthenblüthe eben
nichts anderes sind, als Akanthosblätter. Es
bedurfte nun in der That nur einiger Einsicht in die
Entwicklung des Ionischen Kapitäls aus dem Dori-
schen, um einen Schritt weiter gehend aus dem
Ionischen Kapital das Korinthische gleichsam hervor-
wachsen zu lassen. Und selbst dieser Schritt wurde
nicht mit einem Mal gethan. Wie das Anthemion
erst von dem Gesimse der Dorischen und Ionischen
Dachrinnen auf das Hypotrachelion der Ionischen
Säule übertragen war, so wie auf die ganze Cella-
Wand und ihre Pilaster, so war schon an den Pro-
pyläen des Tempels der Demeter in Eleusis und an
der Einen Säule im Apollotempel bei Phigalia das
Akanthoslaub des Anthemions hoch hinaufgeschossen,
und hatte seinen früheren bescheidenen Raum über-
wuchernd die Stengel sammt den Blumen hoch
hinaufgetrieben, so dass die Stengel bei der Phiga-
lischen Säule schon völlig an die Stelle der Voluten
traten. Bei dem Tempel des Apollon Didymaios
in Milet (dessen Baumeister unverkennbar mit Athen
in Verbindung gestanden) ist das Korinthische Ka-
29
pitäl beinahe schon fertig. Kallimachos mag auch
darauf Einfluss gehabt haben. Jedenfalls war ihm
nach den Fortschritten die er selber gemacht hatte,
oder die ihm bekannt sein mussten , nun nichts
weiter zu thun übrig, als die genaue Form des
vollendeten Korinthischen Kapitals zu bestimmen.
(Taf. IV. 3.) Man vergleiche mit dieser Ansicht
über die Entwicklung der Kapitale auch die man-
nichfachen Formen der Stirnziegel und Grabstelen
(unter andern bei Inwood „über das Erechtheion.")
Eine unmittelbare Folge der leichten Blatterverzie-
rung des Kapitals war nun der gewundene Girlan-
den-Schmuck am Gebalk und die gleichfalls vegeta-
bilisch verzierten Consolen oberhalb der Denticuli
unter der Dachrinne , in welchen die im Ionischen
Bau verdeckten Sparrenköpfe und die Dorischen mit
den Mutulis gleichsam wieder hervortraten , jedoch
hier als sichtbare Träger des starker ausgeladenen
Gesimses. Auch die Form dieser Träger war in
den Trägern des oberen Thürbalken in der nörd-
lichen Stoa des Erechtheums vorgebildet.
Die gradlinigen Verzierungen des Dorischen
Bau's entsprechen ebenso sehr einer schwereren Last,
als die gewundenen des Ionischen und die noch
entschiedener der Pflanzenwelt entlehnten des Korin-
thischen mit einer leichteren Last harmoniren. Es
war daher eine weise Anordnung des Baumeisters
des Colosseums, dass er den Halbsäulen unten an der
äusseren Wand die Dorische, in der Mitte die Ionische
30
i>nd oben die Korinthische Form gab. Die Athener
verfuhren in der besten Zeit nach derselben rich-
tigen Einsicht, indem sie den Parthenon, den The-
seustempel, die Propyläen im Dorischen Styl bauten;
dagegen den kleineren in jeder Beziehung mehr
zierlichen als machtigen Bau des Erechtheums und
andere kleinere Tempel im Ionischen Styl aufführten,
endlich noch kleinere leichtere Denkmale entweder
gleichfalls im Ionischen , oder , wie das choragische
Denkmal des Lysikrates in der Tripodenstrasse , im
Korinthischen Styl errichteten. Im Dorischen Tempel
von Phigalia waren die inneren Säulen, welche nur
den bekannten Fries zu tragen hatten, Ionische.
Auch der Parthenon und die Propyläen hatten im
Inneren einige nur die Decke tragende Ionische
Säulen.
In lonien selbst baute man aus dem angege-
benen Grunde auch die grössten Tempel im Ioni-
schen Styl. Als im Lauf der Zeit nach einem sich
wiederholenden Entwicklungsgesetz das Einfache,
Correcte und Grosse dem Zierlichen, Gemischten und
Kleinlichen weichen musste, baute man in Griechen-
land und Rom die grössten Tempel im Korinthi-
schen Styl; so unter andern den Tempel des Olym-
pischen Zeus in Athen, dessen Korinthische Säulen
einen Durchmesser von sieben Fuss haben und auf
dem Blätterkelch ihres Kapitals die Last eines Daches
trugen, welches circa 350 Fuss lang und 170 Fuss
breit war. Allein wie weit man auch in der An-
31
wendung des leichteren Styls für die schwersten
Massen gehen mochte, so blieb man doch in der
Ausführung innerhalb des gewählten Styls selbst. Es
ist z. B. niemandem eingefallen auf einen Dorischen
Säulenschaft ein Ionisches oder Korinthisches Ka-
pital zu setzen, oder auf eine Ionische Säule ein
Dachgebälk mit Triglyphen. Noch weniger erlaubte
man sich in einem Griechischen Tempel die runden
Bögen eines Gewölbes anzubringen , obwohl schon
Demokrit im 5. Jahrhundert vor Chr. die Theorie
des Gewölbbau's, wahrscheinlich lange nach dessen
practischer Anwendung, gelehrt hatte. Der aus dem
Holzbau hervorgegangene Steinbau des Griechischen
Tempels duldete nun einmal nicht die Störung seiner
graden Linien durch Bögen. Selbst die Kreisform
der Säule, deren Wesen die grade Richtung von
unten nach oben war, wurde durch die Kanelürung
aufgehoben, und sonst erscheinen gewundene Linien
nur in den Ornamenten mehr der Sculptur als der
Architektur angehörig, und auch so, stylisirt, typisch,
gleichsam versteinert. Es war selbst die Wellen-
oder Wasserlinie des Mäander im Dorischen Bau
gradlinig und rechtwinkelig geworden, und nur oben
an der ausgeschweiften Sima der Dachrinne, wo die
Vorstellung des Tragens aufhörte , hatte derselbe
sich früh wieder aus dem gradlinigen (vergl. Pä-
stum) in das wellenförmige Ornament verwandelt.
Aus dieser fliessenden Wellenlinie an der Dachrinne
erblühen dann W^asserblumen („Ak-anthos") mit den
32
Akanthosbiättern, und Hyacinthen- und Lotos-BIü*
then. Bald schlössen sich an die Windungen des
fliessenden Mäander die gewundenen Stengel „Helikes"
der Akanthos, und nun konnte das fertige Anthe-
mion weiter verwandt werden.
.Dass aber der ursprüngliche Holzbau der Tem-
pel Griechenlands überhaupt in Stein, hauptsächlich
Marmor, ausführbar war, beruhte wiederum auf dem
Material, welches sich in so reicher Fülle oft in der
nächsten Nähe fand. Wo ein solches Material fehlte,
oder nur aus weiter Ferne herbeigeschafft werden
konnte, da musste man auf andere Mittel bedacht
sein, um grössere Räume zu überdecken. Die Ar-
chitravsteine des Parthenon haben eine Länge von
14 Fuss, der Deckstein der Thür ist noch länger.
Nicht jedes Gestein liess sich in so grosse Werk-
stücke aus dem Fels schneiden , die in freier Lage
nicht nur unter ihrer eigenen Last nicht zerbrachen,
sondern überdies die ganze darauf ruhende Last zu
tragen vermochten. Und damit kehren wir zurück
zu dem Satz von dem wir ausgegangen : wie in
Aegypten so war auch in Griechenland und Klein-
asien die Form in der Architektur wesentlich be-
dingt und bestimmt durch das Material und durch
die materiellen Verhältnisse, unter denen der Bau
auszuführen war.
33
Wir wenden uns jetzt zum Rundbogen-
Styl und damit nach Rom. Das Gebiet von La-
tium ist arm an solchem Gestein , aus dem siel«
grosse Blöcke zur graden Ueberdeckung weiter Räume
gewinnen Hesse. Die Ebene von Rom diesseits und
jenseits der Tieber ist durchaus vulcanischer Natur.
Die Tufdecke dieser Gegend, der Peperin, der Tra-
vertin sind zu locker , um ahnliche Steinbalken zu
liefern , wie die Marmorbrüche des Brilessos und
Hymettos in Attika, der Inseln und des Peloponnes.
Als Architravbalken oder als Thürdeckung eines
grösseren Tempels würden sie bald unter ihrer eige-
nen Last , geschweige denn unter der des Daches
brechen. Der s. g. Toscanische Tempelbau bediente
sich daher des Holzes zur Ueberspannung der Stein-
saulen , und konnte demgemäss sich viel grössere
Säulenweiten erlauben, als der Griechische Marmor-
bau. Mit dem Wachsen der Stadt und ihrer Macht
mussle sich aber bald das Bedürfniss einer Bauart
aufdrangen, welche bei grösserer Starke und Dauer-
haftigkeit die Anwendung kleinerer Werkstücke zur
Ueberdeckung weiter Räume gestaltete. Die Stadt
lag unmittelbar an einem grossen Fluss, der zuweilen
sehr reissend ist; die Wege hatten nach Süden und
Osten die Tiber oder den Anio zu überschreiten,
ausserdem in allen Richtungen eine Menge kleinerer
3
34
Bäche, die im Winter mit wilder Fluth aus dem
Gebirge herabstürzen. Innerhalb der Stadt mussten
unterirdische grosse Wassergänge angelegt werden,
deren schwierige Ausbesserung einen festen auf mög-
lichst lange Dauer berechneten Bau forderte , und
deren Decke ein hohes Erdreich mit Tempeln und
Häusern zu tragen hatte. So war Rom schon sehr
früh daraufgeführt, den wie es scheint vor der Zeit
der angeblichen Gründung Roms bekannten Bogen-
bau anzuwenden. Wenn auch die erste Brücke
über die Tiber, der Pons Sablicius, aus Holz ge-
baut war, und die Errichtung der ersten steinernen
Tiber-Brücke erst in das Jahr der Stadt 573
fällt, so wurden doch bekanntlich die Cloaca Ma-
xima und der Carcer Mamertinus schon in die Kö-
nigszeit gesetzt, und beide sind von einer so aus-
gezeichneten Construction, dass sie nicht nur bis auf
den heutigen Tag in ihrer ursprünglichen Keil-
schnitt - Fugung vollkommen erhalten sind, sondern
auch den Beweis liefern, dass schon längst vor dem
Bau derselben der Rundbogen mit Keilschnitt in die
Architektur eingeführt war. Indessen war der Bo-
genbau mit grossen Werkstücken natürlichen Steins
und ohne Mörtel , also mit sorgfältiger Behauung
der einzelnen Steine, sehr kostspielig und konnte nur
bei Staatsbauten und auch bei diesen nur in Maassen
ausgeführt werden, die in Vergleich mit den späte-
ren Bauten Roms als gering zu bezeichnen sind.
Der Boden Laliums , * lieferte er auch nur ein
35
lockeres unfestes Gestein, war um so reicher an
Material zu Werkstücken für Quadermauern und
Gewölbe , zu trefflichen Backsteinen und zu einem
ausgezeichneten Bindemittel. Und auf dieser Eigen-
thümlichkeit, verbunden mit der längst geübten Kunst
des Bogenbau's, beruhte die Möglichkeit jener enor-
men Bauten, welche die Republik und das Kaiser-
reich namentlich in Wasserleitungen und Bädern
aufrührte. Ohne Backstein , Mörtel und Bogenbau
hätte man nicht ganze Bäche hoch in der Luft viele
Meilen weit über die Ebene leiten, nicht jene wei-
ten Räume der Thermen mit festem Gewölbe über-
dachen , kein Amphitheater (Coliseum) für 87,000
Zuschauer bauen können. Das Gewölbe in dem
grossen Saal der Bäder des Caracalla hatte eine so
weite Spannung, dass nach dem Zeugniss des Aelius
Spartianus die gelehrten Mechaniker dasselbe trotz
seines Daseins für eine Unmöglichkeit erklärten. Es
genügt ein Blick auf die Ruinen eines dieser ins
Unglaubliche ausgedehnten Bauten, um sich von der
Wichtigkeit des Materials für die erweiterte Anwen-
dung der Bogenconstruction zu überzeugen.
Die Frage, wo der Rundbogen erfunden sei,
ist dabei sehr unwesentlich. Der Verfasser dieser
Schrift hat in seiner „Beschreibung der Ebene von
Troia" an dem Grabe des Ajax, welches in die vor-»
homerischen Zeiten hinaufreicht, einen Rundbogen
aus grossen Bruchsteinplalten, die durch Mörtel ver-
bunden sind , nachgewiesen. Auch scheint die Be-
36
Schreibung, welche Pausanias von dem Schatzhaus
des Minyas giebt , sich auf das Princip des Bogens
zu beziehen , dessen Theorie , wie bemerkt , schon
Demokrit aufgestellt hatte. Wahrscheinlich war der
grosse Wasserbehälter unter dem Olympion in Athen,
in welchen sich die jährlich wiederkehrende Deuka-
lionische Flulh aus dem Tempelhof verlief, schon
vor dem Umbau des Tempels durch Cossutius ge-
wölbt. Auch die ursprünglich trefflich gewölbten
Wasserleitungen unter den Strassen Athens (vergl.
Hellenika 1. S. 65.) sind wohl einer vor-römischen
Zeit zuzueignen.
Es war aber Rom vorbehalten, den Rundbogen
als Raustvl in die s. g. bürgerliche Architektur ein-
zuführen Anfangs mag begreitlicherweise der Ro-
genbau oft mit der gradlinigen Architektur des Grie-
chischen und Toskanisch-Römischen Tempels vermischt
sein. Während im hinern eines solchen Tempels,
der seine äussere Form behielt, gewölbte Nischen,
vielleicht auch eine gewölbte Decke des ganzen
Tempels angebracht wurde, gab man auf der andern
Seite den ganz im Rundbogenstyl aufgeführten Ge-
bäuden ein gradliniges Portal mit Architrav und
Aetoma, und überdeckte Thür- und Fensteröffnungen
im rechten Winkel , ohne ahnden zu lassen . dass
der Eintretende im Innern sich unter einem Gewölbe
befinden werde. Indessen machte sich bald auch
hier das Richtige geltend. Das Innere erzeuge
gewissermaassen selbst seineu Ausdruck im Aeussern.
37
Thür- und Fensteröffnungen wurden gleichfalls im
Bogen überdeckt , und fand man erst die grade
Linie des Hypäthral -Aufsatzes mit den Linien des
übrigen Baues im Widerspruch, so musste man bald
auf die Idee geführt werden, welche auch hier das
Richtige zeigte. Man errichtete, wenn man sich
nicht mit einer unbedeckten Kreisöffnung im Dach
begnügte, statt des gradlinigen Hypäthral - Aufsatzes
eine überkuppelte runde s. g. Laterne mit Lichtöff-
nungen an den Seiten über dem Tonnengewölbe des
inneren Raums. Das Pantheon in Rom und die
Peterskirche gehören zu den bekanntesten und schön-
sten Beispielen des Gewölbbau's.
Unsere Bildtafeln liefern Nr. V. eine Probe
aus den Garten des Sallust , welche zugleich zeigt,
wie man die Mauer selbst durch eingelegte Bögen
zu verstärken suchte. Der vordere Theil dieses
Bau's erscheint als eine Art Kuppel, welche jedoch
weder durch ein Kugelgewöibe noch durch Kreuz-
bögen mit Zwischenfeldern gebildet ist , sondern in
welchem die sphärischen Dreiecke gleichsam ihre
eigenen Träger sind. Der Verband gleicht mehr
dem durch gegenseitiges Stützen als dem durch
gleichzeitiges Lasten und Tragen hervorgebrachten.
Das Tonnengewölbe selbst ruht aber in seiner
ganzen Länge auf zweien, dasselbe in jedem Punkt
unterstützenden Mauern. Von einer Vertheilung der
Last auf bestimmte Punkte und dadurch zu bewir-
kender Entlastung anderer, die somit als Träger
38
überflüssig würden , sieht man in diesem Bau kaum
eine Andeutung.
In Athen war unter den Säulenhallen , welche
zu Versammlungen dienten, eine bekannt unter dem
Namen der Stoa Basileios. Sie verdankte diesen
Namen dem Archon ßasileus oder Archon König,
welcher als Erbe der geistlichen Geschäfte der Kö-
nige von Attika bei Einsetzung der neun jährlichen
Archonten diesen Titel behalten hatte. Derselbe hatte
nicht nur die Räume für seine Amtsgeschäfte, welche
etwa denen der höchsten geistlichen Behörde in
unsern Staaten verglichen werden können , in jener
Stoa, sondern als beständiger Vorsitzender des Are o-
pags versammelte er auch diesen, so oft derselbe
als Rath zusammentrat, ebendaselbst, während er
ihn in seiner Eigenschaft als Gerichtshof in Blut-
sachen auf den offenen unbedeckten Gerichtsplatz
auf dem Ares- Hügel selber, von dem er seinen Na-
men Areopag entlehnte, berief.
Da der Areopagitische Rath jedes Jahr durch
die abgehenden Archonten um neun lebenslängliche
Mitglieder vermehrt wurde , so wird zuweilen die
Gesammtzahl der Areopagiten nicht klein gewesen
sein, und selbst wenn die Sitzungen nicht öffentlich
waren, bedurfte er eines ziemlich grossen Silzungs-
saales. Es ist daher nicht unwahrscheinlich und be-
stätigt, sich durch spätere Nachbildungen , dass die
Königliche Halle am innern Ende die verschiedenen
Geschäftsräume , dagegen in der Mitte den grossen
Versammlungssaal enthielt und dass dieser Saal ober-
halb der unteren Säulen noch eine zweite Säulen-
stellung hatte, welche ein erhöhtes Dach trug, und
Licht und frische Luft durch die Zwischenräume der
oberen Säulen in die Halle einliess. (Vergl. Zester-
mann: die antiken und christlichen Basiliken. Leipzig
1847.) Man würde sich diese Erhöhung ähnlich
dem Mittelschiff unserer Kirchen oder einer s. g.
Laterne vorzustellen haben , nur dass bei der Stoa
dieser Aufsalz in Dach und Wänden gradlinig und
mit Ausnahme der Dachschräge rechtwinkelig sein
musste , sofern er in reinen Verhältnissen sich der
im Griechischen Styl gebauten Halle anschloss.
Die Kömer entlehnten , wie so vieles andere,
z. B. die Siegesthore oder Triumphbögen , auch die
Idee der Stoa Basileios, von den Athenern. (Vergl.
Bunsen : die christlichen Basiliken Roms.) Selbst
den Namen übertrugen sie von Griechenland. Weil
aber die Römische Sprache das Wort Basilius nur
als Eigennamen kannte, dagegen für den Begriff des
Königlichen und Prachtvollen die Form „Basilicus"
aufgenommen halte , so nannte man eine nach dem
Muster der Stoa Basileios gebaute Halle in Rom
Basilica. Man führte indessen in die Architektur
dieser Gebäude, die, wie in Athen, sowol zum schat-
tigen Aufenthalt Müssiger oder mit einander in Ge-
schäften Verkehrender, als zu berathenden und rich-
terlichen Verhandlungen und zur Veröffentlichung des
Richterspruchs dienten, eine dem Römischen Baustyl
I
40
entsprechende Veränderung ein. An sich steht eine
Säule , welcher Ordnung sie angehöre j mit keiner
Art der Ueberdeckung der Säulenzwischenräume in
Widerspruch. Vielmehr kann letztere , wie durch
Holz- oder durch Steinbalken gradlinig, so auch
durch Rundbogen oder selbst durch Spitzbogen ver-
mittelt werden. In Rom also überdeckte man die
Säulen an beiden Langseiten, welche die Halle, wie
wir sagen , in drei Schiffe abtheilten, mittelst Rund-
bögen , welche das Dach der Seitenschiffe und zu-
gleich die kleineren Säulen trugen , auf welchen
letzteren wieder die aus Holz gefügte Ueberdaehung
des Mittelschiffs ruhte. Diese vertrat in ihrer schräg
aufsteigenden Giebelform zugleich die sonst übliche
horizontale Decke. (Taf. VI.)
Sowie bei diesen Gebäuden die Bogen-Ueber-
deckung der Säulenweiten eingeführt war, lagen drei
weitere Veränderungen sehr nahe: erstens, dass
man in Uebereinstimmung mit diesen Bögen das
innere bisher gradlinigte Ende der Halle durch eine
gewölbte Nische, die s. g. Absis schloss : — zwei-
tens, dass man der Stirnseite des ganzen Bau's
eine solche Fassung der Thür und des Portals gab.
welche mit der inneren Bogenstellung, der Absis und
der Abtheilung in drei Schiffe harmonirte. Man er-
richtete also , wo der Raum es gestattete , vor dem
Eingang ein Chalkidikum, eine mit Säulen und Rund-
bögen versehene Querhalle, aus der eine oder drei
oder mehrere rund überdeckte Thüren in die Basi-
41
lika führten. Die dritte Veränderung würde in
der Ueberwölbung des Mittelschiffs mit einem Tonnen-
gewölbe bestehen , welches bald mit bald ohne Be-
seitigung der oberen Säulchen unmittelbar auf der
Wand ruhte, die von den Arkaden-Bögen der Schiffe
getragen wurde.
Als nun , unter Constantin und seinen Nachfolgern
immer mehr grosse bedeckte Räume für den christ-
lichen Gottesdienst nothwendig wurden , lag nichts
näher , als sich der vorhandenen Basiliken , welche
ohnedies schon zu Versammlungen gebraucht wurden,
zu bedienen. Die heidnischen Tempel dienten noch
der Religion , der sie gebaut waren , und konnten
wohl erst nach völliger Besiegung des Polytheismus
durch das Christenthum in christliche Kirchen umge-
wandelt werden. Bei der frühen Benutzung der Ba-
siliken zu christlichen Versammlungen konnte um so
weniger ein religiöses Bedenken sein, als die christ-
liche Religion hier nicht einen heidnischen Gott ver-
drängte , sondern an die Stelle des Prätors oder
eines andern weltlichen Richters den Richter über die
Lebendigen und die Todten selber treten liess. Hier
war das Volk gewohnt Reden zu hören, über Ge-
schehenes und auch über Künftiges : und wie es
scheint, störte die neue Verwendung nicht einmal
den bisher üblichen Handelsverkehr derer . d e ihre
Waaren feil boten , noch weniger den Verkehr der
Geschäftsleute, die sich hier trafen oder der Müssigen,
die hier Schatten und Kühlung suchten. Hat sich
42
doch die Sitte , zu gewissen Zeiten in den Kirchen
Waaren feil zu bieten, selbst bei uns bis in die
jüngste Vergangenheit erhalten und sind doch in
Italien die christlichen Basiliken für den Frommen
den ganzen Tag geöffnet, wahrend man die Kirchen
bei uns vieler Orten an den Wochentagen allen
verschliesst, und am Sonntage denen öffnet, die einen
Platz bezahlen können, es sei denn, wer es nicht
kann, fühle sich so erwärmt und gehoben, dass er
anderthalb Stunden auf den kalten Fliesen stehend,
vergesse, dass Ansehen der Person, welches nicht
gilt vor Gott , wohl gilt vor Kirchenbehörden. Ist
doch hie und dort das Eintrittsgeld zu den täglichen
Vergnügungen des Tivoli für eine ganze Familie
geringer , als ein einzelner Sitz für die Sonntags-
Andacht in der Kirche. Wenn z. B. in einer Kirche
für eine Gemeinde von 12 — 15,000 Erwachsenen
nur für 1000 Zuhörer Raum ist, in dieser Kirche
alle Sitzplätze, mit Ausnahme einiger Bänke in den
Gängen, verkauft oder vermiethet sind, und wenn
unbesetzt doch verschlossen bleiben, wie darf man
da über geringen Besuch der Kirche klagen? Wer
Einfluss hat, dem Uebel abzuhelfen und ihn nicht
anwendet, der wenigstens begiebt sich des Rechts zu
solcher Klage. Oeffnet die Gotteshäuser alle Tage,
und Sonntags wahrend der Predigt die Plätze allen,
die hören wollen. —
So wurden die alten Basiliken in und ausserhalb
Roms christliche Kirchen. Von der Volksversamm-
43
lung nahm die christliche Versammlung den Namen
Ekklesia an, und wieder nach dem Vorgange des
allen Athens nannten sie die Hauptversammlung, die
erste in der Woche, die Kyria, oder Kyriake und
darnach hiess nun und heisst zunächst das Gebäude
und dann die Gemeinde der Christen selbst, die
sichtbare und die unsichtbare, bei den Romanischen
Völkern nach dem Griechischen Wort Ekklesia "
Chiesa, E*ilise u. s. w. , bei den Germanischen Völ-
kern nach dem Griechischen Wort „Kyriake" Kirche,
Church iL s. w. Die vorhandenen Basiliken reichten
natürlich bald nicht mehr aus. Man baute nach dem
Muster der alten neue christliche Basiliken, an denen
Rom besonders reich und deren Grundform im All-
gemeinen zugleich die Grundform für die Kirchen
des katholischen und protestantischen Europa's ge-
blieben ist.
Betrachten wir nun die eigentlich christlichen
Basiliken nach den Formen 5 in welchen sie in der
ol'ficiellen Kirchensprache und in der Architektur
diesen Namen führen, so lassen sich folgende Merk-
male als wesentlich angeben. Eine Basilika ist ein
oblonges Gebäude , dessen Haupteingang an dem
einen schmalen Ende ist, welchem gegenüber an dem
andern schmalen Ende sich eine grosse Nische, Tri-
büne oder Absis befindet; der innere Raum ist der
Länge nach durch eine doppelte Säulenreihe in drei
Schiffe getheilt, von denen die beiden Seitenschiffe
schmäler und niedriger sind als das Hauptschiff. Von
44
Säule zu Säule dieser Reihen geht ein Rundbogen;
über diesen Rundbögen erhebt sich eine Mauer be-
deutend höher als die Decke und das Dach der
Seitenschiffe, oben durch Fensteröffnungen das nÖ-
Ihige Licht einlassend und zugleich das Dach des
Mittelschiffs tragend. Dieses aus Holz gefügte Dach
bildet zugleich die Decke des Mittelschiffs, oder es
ist eine besondere gleichfalls hölzerne wagrechte
Decke hinzugefügt. Zuweilen sind einige Rundbögen
zur Unterstützung des Dachs quer durch das Haupt-
schiff gelegt (vergl. die Stiftskirche in Gernrode Tal".
VI. und S. Prasede in Rom); auch finden sich, wie
bei der Paulskirche vor Rom , fünf Schiffe. Zu
diesen architektonischen Eigenthümlichkeiten kam
dann öfter noch eine besondere, oben erwähnte, por-
talartige Vorhalle, nicht eine Griechische Tempelhalle
mit dreieckigem Giebelfeld, wie beim Pantheon, son-
dern eine dem innern Bau entsprechende Querhalle
mit Rundbögen auf Säulen, wie bei den Römischen
Basiliken St. Maria in Cosmedin und St. Paul.
Aber auch die Peterskirche in Rom ist eine „Basi-
lika." Der ursprüngliche Bau ist durch einen spä-
teren prachtvolleren ersetzt. Hier ist der Romani-
sche Rundbogenstyl vollständig durchgeführt. Die
schweren Bögen, welche die Schiffe trennen, ruhen
nicht mehr auf Säulen , sondern auf mächtigen Pfei-
lern , das Haupt- und die Seitenschiffe sind mit
Tonnengewölben überdeckt. Durch das Gewölbe des
Hauptschiffs sind Seitenöffnungen geführt, welche die
45
Stelle der Fenster in der früheren oberen Wand des
Hauptschiffs vertreten. Ausserdem ist, entsprechend
dem Rundbogenstyl j über dem Kreuz eine Kuppel
auf den hohen Cirkelwänden einer s. g. Laterne er-
hoben, durch welche letztere eine Menge in Ueber-
einstimmung mit dem graden Abschluss unter dem
Ansatz der Kuppel grade überdachte Fensteröffnungen
geführt sind. Aehnliche Laternen befinden sich über
den Quadraten der Seitenschiffe. Auch das Chal-
kidikum fehlt nicht als mächtige Vorhalle zu dem
Prachtbau.
Als sich mit dem Christenthum das ßedürfniss
der Kirchen von Rom aus in" den nördlichen Ländern
verbreitete , wurde der Rundbogenstyl allmälich be-
sonders in Deutschland allgemeiner Kirchenstyl. Na-
mentlich zeichnet sich das elfte und besonders das
zwölfte Jahrhundert durch den Bau von Kirchen in
diesem, dem s. g. Byzantinischen, **) richtiger Roma-
nischen oder Römischen Styl aus. In Italien war
man reich an Säulen von alten Tempeln. Man be-
diente sich dieser oft für dieselbe Kirche ohne Rück-
*) Der Name des Byzantinischen Styls ist bekanntlich
in neuerer Zeit mit Recht auf die Gotteshäuser der griechischen
Kirche, die nach dem Muster der Hagia Sophia in Konstantinopel
erbaut sind , beschränkt. Der Byzanthinische Styl gehört zum
Rundbogenstyl, und unterscheidet sich von dem Romani-
schen Styl besonders durch das Vorherrschen der Halbkugel vor
dem Bogen, und durch die damit zusammenhängende Beseitigung
der Langschiffe.
46
sieht auf Verschiedenheit der Kapitale, der grösseren
oder geringeren Durchmesser u. s. w. Ueberdies
waren im Lauf der Jahrhunderte in Italien grosse
Marmorbrüche entdeckt und geöffnet. In Deutsch-
land dagegen waren die Marmorsäulen der alten Ba-
siliken schwer und nur mit grossen Kosten herslellig
zu machen.*) Man war genölhigt, dieselben bald ab-
wechselnd bald sämmtlieh durch gemauerte Pfeiler
zu ersetzen. Diese Pfeiler musste man stärker
bauen , als die meistens monolithen Säulen. Weil
stärker, waren sie nun aber auch fähiger, einem
stärkeren Schub des Bogens Widersland zu leisten.
Zur Unterstützung des 'hölzernen Dachs hatte man,
wie oben bemerkt, hin und wieder hohe Bögen auf
noch mehr verstärkten Pfeilern quer über das Mittel-
schiff gelegt. (Vergl. Taf. VI.) Wie nahe trat nun
der Gedanke, erst die kleineren Seitenschiffe, dann
das ganze Mittelschiff zu überwölben, und zwar
nicht durch ein Tonnengewölbe , Avelches in seiner
ganzen Ausdehnung eine starke tragende W7and
und starke Widerlage verlangte , sondern mittelst
Bögen, die nach dem Vorbild der Arkadenbögen von
Pfeiler zu Pfeiler erst im rechten Winkel und dann
in der Diagonale kreuzweise die Abtheilungen des
*) Auch in Frankreich fehlte es an dem Material zu Säulen.
Der Abt Sugerius wollte für die Basilika St. Dionysii die Säulen
aus Rom kommen lassen. Cf. Annales Ordinis Benedicti auc-
tore Mabillon. Lucae 1745. Tom. VI. p. 302. ad Ann. Ii 40.
47
Schiffes durchschnitten. Die Bögen und Kreuzbögen
hatten nun nur die leichte Füllung der Gewölbe zu
tragen. Auch die Wand oberhalb der Arkadenbögen
konnte schwacher gehalten und vielfältig bis zur
Höhe des Dachs der Seitenschiffe durch das Tri-
forium, die drei (vergl. unter andern St. Ursula
in Cöln) oder mehreren thürartigen Oeffnungen ober-
halb der Arkadenbögen , durchbrochen und verziert,
oberhalb des Dachs der Seitenschiffe aber mit grös-
seren Lichtöffnungen versehen werden.
Je mehr aber nun die Last der sämmtlschen
Gewölbbögen auf die Pfeiler gelegt wurde, desto
stärker mussten diese selbst sein , um dem Druck
und Schub zu widerstehen. Dies war ein grosser
Uebelstand, weil dadurch eine weit grössere Trennung
der Seitenschiffe von dem Hauptschiff' eintrat, als
früher bei den dünneren Säulen stattgefunden hatte,
was indessen für den Altardienst weniger störend
war, als für das Anhören der Predigt oder des Evan-
geliums und der Epistel. Im Uebrigen war nun das
Rundbogen - System des inneren Bau's in der
Hauptsache vollständig durchgeführt, und fand all-
mählig auch seinen vollständigen Ausdruck im Aeus-
sern. Nicht nur Thüren und Fenster wurden rund
überdeckt, sondern auch alle Verzierungen in dem-
selben Styl gehalten. Die mächtige noch ganz runde
Absis wurde mit einem Fries von zierlichen Rund-
bögen umgeben , hin und wieder wurden auch die
beiden Enden des Kreuzschiffes mit einer runden
48
Absis und diese gleichfalls aussen mit Rundbogen-
Verzierungen versehen, selbst die viereckigen Thürme,
die meistens den runden vorgezogen wurden , waren
von unten bis oben mit zahllosen rund überdeckten
Fensteröffnungen verziert, und wo ein spitzer Giebel
mit groden Sparren sich dem Auge zeigt, scheinen
die letzteren von unzahligen ansteigenden Bögen ge-
tragen zu werden. (Taf. VII. Apostelkirche in Coln.)
Diese Kirchen wurden hauptsächlich in den
Jahrhunderten der Kreuzzüge erbaut , und ohne
Zweifel hatten diese einen nicht geringen Einfluss
auf ihre Vervielfältigung. Das Predigen des Kreuzes
aller Orten rief eine ungewöhnliche Menge Zuhörer
in die Kirchen , und der Orden der Benedicliner,
der damals in hohem Ansehen stand, mochte wohl
durch das Bedürfniss aufmerksam gemacht und dem
allgemeinen Zuge im Interesse der Religion folgend,
die Zeitverhällnisse zu Gunsten des Kirchenbau's be-
nutzen. *) Gewiss ist, dass nicht wenige der bedeu-
tenderen Bauten im Romanischen Styl durch Bene-
dictiner, mögen sie die Bauherrn oder selbst die
Baumeister gewesen sein, errichtet sind, so dass man
fast geneigt wird, diesen Kirchenstyl vorzugsweise als
# *) Eine lesenswerthe Erzählung vom Bau der Basilika
bivensis, oder Basilika St. Mariac in oppido St. Petri supra
Divam findet sich in Annal. Ord. Bened. Tom VI. p. 362 ad
Ann. 1145. — St. Pierre sur IMves ist in der Nähe von Caen
in der Normandie.
49
den der Benedietiner anzusehen. Leider sind die
Nochrichten darüber bisher nicht genügend zusammen-
gestellt. Je öfter sich aber die Kirchen für die sich
hinzudrängende Hörer - Menge zu klein erwiesen,
desto mehr muste sich auch der erwähnte Mangel
in ihrem Bau bemerklich machen. Durch die mit
dem Gewölbbau verbundenen dicken Pfeiler wurden
die Seitenschiffe für den Gottesdienst, insonderheit
für das Anhören der Predigt fast ganz unbrauchbar.
Man hatte freilich versucht, durch abwechselnd zwi-
schen die Pfeiler gestellte Säulen , wo man solche
zur Verfügung hatte, dem Uebel abzuhelfen: was
sich jedoch bald als ungenügend und selbst als über-
flüssig erweisen musste. Wie sehr die Breite des
Pfeilers der Benutzung des Raums für die Zuhörer
hinderlich sein musste , kann man auch heute noch
selbst an vielen aus Backsteinen erbauten Gothischen
Kirchen sehen , aus deren Säulen man mit einer
höchst naiven Sorglosigkeit und zugleich Geschmack-
losigkeit grosse Stücke weggehauen hat , damit aus
dem' Seitenschiff Ein Auge mehr den Prediger auf
der Kanzel sehen könne. (Vergl. die Jacobi- und
Catharinen -Kirche in Hamburg, die Nicolai - Kirche
in Kiel und unzählige andere.) So sehr sich nun bei
dem Rundbogenstyl das Bedürfniss der Verdünnung
der Pfeiler aufdringen mochte , so war doch hier
keine Hülfe. Der Schub des Bogens, besonders des
Mittelschiffs war zu stark, zumal bei der viel gerin-
geren Höhe der Seitenschiffe ? als dass man die
4
50
Widerlage , die in der Dicke der Säule bestand,
hätte mindern dürfen. Wer behauptet, dass in den
Romanischen Kirchen die Säulenweite selten die
Breite zweier Pfeiler erreicht, dürfte sich nicht irren.
In der Kirche zu Wyssel ist das Verhältniss wie 1 J zu 1.
Nun war aber schon seit geraumer Zeit *theils
bei Gebäuden des Romanischen Styls, theils bei an-
deren eine vielleicht aus dem Orient entlehnte
Ueberdeckung von Fenster - und Thüröffnungen ,
welche sich indessen, der Form nach, am frühesten
in den Schatzhäusern Griechenlands und in den
Thoren einiger Cyklopischer Stadtmauern findet, an-
gewendet worden. Es war dies der Spitzbogen,
dem man natürlich eine dem Keil schnitt des
Rundbogens analoge Construction gab. Man musste
bald entdecken, dass diese neue Art der Raumüber-
deckung den Schub des Bogens bedeutend mindere,
indem er ihn viel näher in die Richtung des senk-
rechten Drucks des Bogens brachte, oder mit an-
dern Worten , dass je höher der Spitzbogen sich
erhob, desto mehr die Richtung des Schubs sich der
Axe des Trägers , sei dieser ein Pfosten oder eine
freistehende Säule , nähere. Liesse sich der Schub
eines Bogens vollständig in die Axe der Säule legen,
so würde er damit ganz aulhören, und sich in ein-
fachen verticalen Druck verwandeln.
I
So war das Mittel gefunden, die GewÖlb-
träger zu verdünnen und die grossen durch Gewölbe
überdeckten Räume der inneren Kirche möglichst
wenig durch die Träger des Gewölbes zu unterbre-
chen und zu beschränken. Wie nun bei dem im
Wesen jedes Bogens liegenden , nie ganz zu besei-
tigenden Schub die Widerlage theils in den Seiten-
schiffen, theils in den ausserhalb der Mauer verlegten
Strebepfeilern vermittelt wurde, wie sich die
Construction der Kreuzgewölbe vereinfachte, wie die
früher zwischen den Trägern der Quergurten des
Mittelschiffs gestellten kleineren Pfeiler oder Säulen,
welche die Gewölbe der Seitenschiffe trugen, gänz-
lich beseitigt wurden , gehört nicht weiter hieher.
Genug , dieselben Säulen genügten , die Gewölbe
beider Schiffe zu tragen, sie konnten verglichen mit
den Pfeilern der romanischen Kirchen im Verhältniss
zu den überspannten Räumen auf die Hälfte
vermindert werden und bewirkten auf solche Weise,
dass das Mittelschiff und die Seitenschiffe fast nur
Einen grossen Raum bildeten, der von der Kanzel
aus in viel grösserem Umfang konnte übersehen
werden , wie die Kanzel von einem viel grösseren
Raum der Schiffe, namentlich des ihr gegenüber
liegenden Schiffs gesehen wurde.
Jedoch mit der Entdeckung dieser Eigenthüm-
lichkeit des Spitzbogens war noch keine einzige
Kirche gebaut. Ja, wer immer der erste Baumeister
gewesen sein mag , der die Tragweite dieser Ent-
4*
52
deckung oder ihrer Anwendung auf den ganzen
Kirchenbau zuerst erkannte — es wird am Ende
des zwölften oder im Anfang des dreizehnten Jahr-
hunderts gewesen sein — musste er nicht fast ver-
zweifeln , zur Ausführung eines Bau's nach diesem
neuen Princip jetzt noch eine würdige grosse Ge-
legenheit zu finden? Der Leser wolle die Frage
nicht für eine müssige halten , da sie langst that-
sächlich beantwortet und der Zweifel widerlegt sei.
Wir glauben annehmen zu dürfen, dass wenige sich
der Gründe der Frage und der Ursachen , welche
die thatsächliche Widerlegung herbeiführten, sogleich
erinnern werden.
Das Königreich Jerusalem hatte beinahe ein
Jahrhundert bestanden. 1187 war Jerusalem durch
Saladin wieder erobert. Die Theilnahme der Völker
für Kreuzzüge war erloschen. Die spateren Kreuz-
züge waren Unternehmungen der Fürsten auf Betrieb
der Päbste. Indessen hatte sich auch dem gemeinen
Mann der Gedanke aufdrängen müssen , dass die
Feinde des Christenthums nicht bloss in Asien und
Afrika zu suchen wären , war doch auch gegen die
Wenden das Kreuz gepredigt und angenommen.
Ja, die inneren Streitigkeiten, religiöse und politische,
in der christlichen Welt Europas selbst , verfehlten
nicht an die Notwendigkeit zu mahnen , das Kreuz
daheim für die Heimath zu predigen. Die Zer-
rissenheit aller Verhältnisse einigte die , welche sich
nach Ruhe sehnten , vorzüglich in den mehr und
53
mehr aufblühenden Städten, und wenn sich eine wah-
rere Religion und Frömmigkeit aus den hohen welt-
lichen Kreisen in die mittleren der Städte und
einzelner Klöster zurückgezogen hatte, so ist es wohl
vorzüglich diesen zu verdanken , dass gerade um die
Zeit, da in Jerusalem ein christliches Königreich be-
stand, und vor allem, da es wieder zu Grunde ging,
da Päbste gegen Päbste, Vasallen gegen den Kaiser,
und Kaiser und Päbste gegen einander standen , die
stattlichsten Kirchen in dem bis zur grossartigsten
Blüthe entwickelten Romanischen Styl erbaut
wurden. In Gegenden, wo für das Bedürfniss des
Gottesdienstes auf so glänzende Weise durch eine
Menge eben vollendeter oder in der Vollendung be-
griffener Kirchen gesorgt war , d a wenigstens schien
kaum noch für Bauten, wie wir sie in den gothischen
Kirchen und Kathedralen bewundern , weder Raum
noch Aufwand noch Sinn und Aufopferung erwartet
werden zu können. Die Kloster - und die Welt-
Geistlichkeit, bei welcher am ersten noch die Reich-
thümer sich gefunden hätten , ohne welche solche
Werke nicht ausführbar waren, vergeudeten dieselben
meistens in Wohlleben ; und um das Unheil voll zu
machen , bekämpften sich gerade um dieselbe Zeit
im Anfang des dreizehnten Jahrhunderts in Deutsch-
land zwei Gegenkaiser unter schrecklichen Zerstö-
rungen ein ganzes Jahrzehent hindurch, während in
Rom ein Pabst auf dem Thron sass , der mehr an
die Vergrösserung seiner weltlichen Macht dachte,
54
als an die Mehrung des Reiches Christi auf Erden.
Selbst die Aussicht, dass die Heilung von der Grün-
dung einer neuen auf das Heilige und auf kirchliche
Zucht gerichteten Gesellschaft ausgehen könnte, wie
man an dem beredten Bernhard von Clairvaux ein
Beispiel gehabt, schien durch das Verbot Innocenz III.
gegen die Gründung neuer Orden vereitelt. Von
den vorhandenen einen neuen Aufschwung des
religiösen Sinnes und die durch die kostspieligsten
Werke zu bethätigende Erzielung und Verwirklichung
eines neuen Kirchenstyls , den man heute vielfältig
als den vorzugsweise christlichen betrachtet, zu er-
warten, schien in der That durchaus kein Anlass.
Und dennoch. — Die Bettler kamen den Ar-
chitekten zu Hülfe, die Bettler brachten Reichthümer,
die Bettler forderten Kirchen mit weiten Räumen
für Predigten , die mehr denn je die Hörer in un-
glaublicher Menge anzogen überall, die Bettler, hier
durch das Beispiel, dort durch Anregung des Wett-
eifers , lehrten auch aridere predigen , sie lehrten
überall den neuen Kirchenbau. Nur mit dem
grössten Erstaunen kann man die rapide Schnellig-
keit betrachten, womit sich die beiden neuen Orden
der Bettelmönche, der Franciskaner und Domi-
nikaner über ganz Europa ausbreiteten.
Franciskus von Assisi und Dominicus aus
dem Spanischen Geschlecht der Gussmann begannen
ungefähr gleichzeitig, im ersten Jahrzehent des 13.
Jahrhunderts, diejenige Thätigkeit und Lebensweise,
55
welche man als den Anfang zur Stiftung ihrer Orden
ansehen kann. Nach dem Vorbild der Apostel wollten
sie auf allen Besitz verzichtend das Evangelium ver-
breiten. Armuth und Predigen , Predigen und Ar-
muth waren die Grundzüge ihres Strebens. Frau-
ciskus, der weniger gebildete, fing mit der Armuth
an. Dem Erbe seines reichen Vaters entsagend,
bettelte er und redete er für den Bau der
Kirche des St. Damian. Später wurde er auch
der Wiederhersteller der St. Peterskirche in Assisi
und der durch, den Portiuncula - Ablass so berühmt
gewordenen Kirche Unserer Lieben Frauen zu Por-
tiuncula. Dominicus, der fein gebildete Spanier, fing
mit der Predigt an. Im Gegensatz zu den vorneh-
men pabstlichen Legaten , welche in voller Pracht
auftretend die Albigenser in Languedoc mit dem
Schwert zur Anerkennung der Oberherrschaft des
Pabstes und des pabstlichen Lehrbegriffs der Kirche
bekehren wollten, suchte Dominicus bei einer stets
sich gleichbleibenden Todesverachtung und ruhigen
Besonnenheit, nur mit den Waffen einer anmufhigen
und eindringlichen Beredsamkeit die Schwachen
und Abtrünnigen zu bekehren , indem er auf allen
Prunk verzichtete, und in äusserer Demuth und frei-
williger Armuth auftrat. Beide hatten schon eine
Anzahl Gleichgesinnter um sich versammelt und halten
wenigstens mündlich im Jahr 1215, letzterer schon
im folgenden Jahr, trotz des früher erwähnten Ver-
bots, durch eine Bulle die Bestätigung seines Ordens
56
erlangt. Innocenz III. hatte bald durchschaut , dass
diese neuen Orden, welche für die Kirche und die
päbstliche Lehre bettelten und predigten, dem Pabst-
thum vom grössten Nutzen sein würden. Sie wurden
nun auf alle Weise begünstigt, und begegneten
offenbar bei den Völkern Europas einer Stimmung,
welche nach den verunglückten Kämpfen um das
heilige Grab gegen die Heiden und bei der allge-
meinen Missbilligung des tragen Wohllebens der
Geistlichen, sie überall willkommen hiess. Auf einem
Generalkapitel , welches Franciskus im Jahre 1219
hielt , waren schon 5000 Franciskancr gegenwärtig.
Ihre Klöster verbreiteten sich, als wüchsen sie aus
dem Boden, mit unglaublicher Schnelligkeit über ganz
Europa, besonders über Italien, Frankreich, England
und Deutschland. Vielleicht noch schneller ver-
mehrte sich die Zahl der Klöster der Dominikaner.
Im Jahr 1221 bestanden 60 Klöster, im Jahr 1277
schon 352 , im folgenden Jahr 417. Unter dem
Ordensgeneral Johannes von Vecelli kamen 125
Klöster hinzu. ,, Daher denn beinahe keine Chronik
der Zeit von 1220 bis 1270, die nicht der Ein-
führung und Bestiftung eines oder beider dieser
Orden in jeder bedeutenden Stadt gedächte." (Vergl.
J. Grimm in den Wiener Jahrbüchern Bd. 32 1825
über „Bertholds des Franciskaners Deutsche Pre-
digten herausgegeben von Chr. Fr. Kling.")
Der officielle Name der Dominikaner war Fra-
tres Praedicatores , Prediger-Mönche , der Francis-
57
kaner Fratres Minores, Minoriten. Die letztere Be-
zeichnung, welche sich auf die Armuth bezog, galt
eben so sehr von den Dominikanern, als die erstere
von den Franciskancrn. Beide heissen und waren
Bettelmönche, beide zogen bettelnd durch die Welt
und predigten überall. Man wird sich kaum
einen Begriff davon machen, welche Menge Prediger
jene zahllosen Klöster sowol über heidnische , als
insonderheit über alle christliche Lander aussandten.
Statt dass früher die Mönche von der Welt sich son-
derten , war es die Aufgabe dieser , die Welt auf-
zusuchen. Die Päbste erlaubten ihnen , dass sie in
jeder Kirche predigen, jedem die Sacramente
austheilen und jedem ein Begrabniss auf ihren
Klosterkirchhöfen gestatten durften. Alles strömte
ihnen zu. Oft sahen sie sich genöthigt , unter
freiem Himmel zu predigen, wie der Franciskaner
Bruder Berthold von Regensburg , von dem die
Chronisten aus der zweiten Hälfte des 13. Jahrhun-
derts wiederholt erzählen, er habe oft vor sechzig
tausend Zuhörern gepredigt. Die Weltgeistlichkeit
führte bei Päbsten und Fürsten die bitterste Klage,
dass ob der sich überall eindrängenden Bettelmönche
die Parochialkirchen bei der Predigt der Parochial-
geistlichen leer ständen , dass das Ansehen der bi-
schöflichen Geistlichkeit zu Grunde gehe , dass alles
sich zu der Beichte bei jenen dränge, und nur die
Seligkeit hoffe durch ein Begrabniss auf ihren Kirch-
höfen. Jeder frage nur nach dem Rath der Pre-
58
diger- und Minoriten - Mönche. Insonderheit wen-
deten sich auch die Vornehmen den Bettelmönchen
zu. (Bekanntlich traten selbst fürstliche Personen
in den Orden.) Ausser den eigentlichen Ordens-
geistlichen hätten sie auch eine dritte Brüderschaft
erfunden (die Tertiarii), unter welche sie so allge-
mein Männer und Weiber aufnähmen , dass kaum
einer oder eine übrig bliebe , der oder die nicht
eingeschrieben sei. Dabei würden von diesen Bet-
telmönchen Bauten aufgeführt, wie Königliche Paläste,
ruhend auf hohen Säulen u. s. w. Die Riagen
über die Pracht und Höhe ihrer Bauten
wiederholen sich öfter. Schon im Jahr 1245 er-
liess die Englische Weltgeistlichkeit ein Klage-
schreiben über alle jene Beschwerdepunkte an den
König; und im Jahr 1297 sagt Petrus Joh. Olivi
in seiner Professio über die durch die Regel des
Ordens vorgeschriebene Armuth, im 4. Punkt, „Ich
sage, die auffallenden Uebertreibungen in Bauten für
welche grosse und ungebührliche Kosten verwandt
werden, sind verderblich." Jedoch wird hin und wieder
zu Gunsten der Kirchen eine Ausnahme gestattet. Man
sieht aus diesen und ähnlichen Klagen , dass schon
sehr bald nach der Stiftung der beiden Orden der
Aufwand, den sie für kirchliche Gebäude
machten, ein ausserordentlicher war.
Es ist wohl schon von selbst einleuchtend, dass
sie diesen Aufwand besonders der jetzt aufkommen-
den neuen Kirchenbauart zuwendeten , ja , dass es
59
grade das ßedürfniss weiter Räume für grosse Ver-
sammlungen war, welches diese Prediger veranlassen
musste , überall ihren Einlluss dahin zu verwenden,
dass man statt des bisherigen Rundbogenstyls jetzt
nur im Spitzbogenstyl baute. Eng damit zusam-
men hängt die grosse Sorgfalt , welche man jetzt
auf die Kanzel verwendete. Dass jener Einlluss
aber in allen Richtungen ausserordentlich weit reichte,
erkennt man leicht, wenn man bedenkt, dass Fran-
ciskaner und Dominikaner, nachdem kaum die Orden
gegründet waren, bei Fürsten und Päbsten die er-
sten Stellen einnahmen. Bettelmönche waren die
Räthe der Krone , Gesandte , Finanzminister und
Schatzmeister. Bettelmönche waren die ersten Ge-
lehrten ihrer Zeit , und an der Pariser Universität
wussten sich beide Orden, trotz alles Widerstrebens
der Sorbonne , in den Besitz eines Lehrstuhls der
Theologie zu setzen. Unter den Gelehrten nennen
wir nur die Franciskaner Alexander von
Haies, Bonaventura, D u n s Skotus und Ro-
ger Bacon, die Dominikaner Jordan us,
Raymund v. Pegna forte , Albertus Magnus
und Thomas von Aquino. Albertus Magnus
war geboren 1193 in Lauingen an der Donau, etwa
20 Meilen oberhalb Regensburg, seit 1222 Domi-
nikaner, lehrte Theologie und Philosophie zu Cöln,
Freiburg, Stassburg, Regensburg, Paris.
1249 wurde er Vorsteher der Schule zu Cöln,
1254 Prövincial seines Ordens in Deutschland. Bald
60
nachher wurde er von Pabst Alexander IV. nach
Rom berufen als Magister Sancti Palatii, eine Würde,
welche stets in den Händen der Dominikaner ge-
blieben ist. 1260 ernannte ihn der Pabst zum
Bischof von Regensburg, welche Würde er nach
zwei Jahren wieder aufgab , um in dem Kloster
seines Ordens in Cöln als Weihbischof dem Lehr-
amt und der Wissenschaft zu leben. Er starb da-
selbst 1280.
Albertus baute selber den Chor der jetzt
verschwundenen Dominikaner - Kirche zum heiligen
Kreuz (wohl zu unterscheiden von der gleichfalls
verschwundenen Kirche des Klosters der Kreuz-
brüder) in Cöln im golhischen Styl. Es ist schon
merkwürdig, dass wir auch in Regensburg eine der
frühesten Spitzbogenkirchen und zwar eine Do-
minikanerkirche aus den Jahren 1230 — 1240 finden;
und dass wir den Albertus längere Zeit an Orten
sehen, wo die berühmtesten Dome dieses Styls er-
baut wurden, ausser Cöln in Strassburg, in Freiburg
und Regensburg. Dass ein Mann von so hohem
Ansehen in der ganzen christlichen Welt, der selbst
einen Kaiser zur Tafel laden konnte, auf die dama-
ligen Kirchenbauten und namentlich auch auf den
des Dom's von Cöln, wo er lebte, einen ganz aus-
serordentlichen Einfluss haben musste, ist wohl ausser
allem Zweifel; und so dürfte nach dem ganzen Zu-
sammenhang der Dinge die , aus anderen Gründen
aufgestellte und bestrittene, Ansicht, dass Idee und
61
Plan des Cölner Dom's , soweit er nicht die tech-
nische Ausführung befasste, die allerdings einen ge-
schulten Baumeister forderte , dem Albertus zuzu-
schreiben sei , doch noch auf besseren Gründen
ruhen, als auf der „sinnbildlichen Bedeutung die
durch das Gebäude durchgeführt sein soll. In ihrem
Eifer für die neue Bauart unterschieden sich die
beiden Orden der predigenden Mönche nicht von
einander. Ist es nicht sehr beachtenswerth , dass
bereits 1228 kurz nach dem Tode des Franciskus
diesem in seiner Vaterstadt Assisi, mitten in Italien
eine gothische Kirche erbaut wird? Der Erbauer
wrar Jacob Lapo, ein Deutscher, hiezu berufen, der
Vater des berühmteren Arnolfo Lapo. (Taf. VIII.)
Die Pracht dieser Kirche und auf der andern
Seite die ausserordentliche Einfachheit , für welche
grade der Romanische Styl, wie z. B. die Kirche in
Wyssel bei Calcar beweist , empfanglich ist , wider-
legen auf sehr entschiedene Weise die Ansicht Kal-
lenbachs, die er in seinem trefflichen Atlas zur Ge-
schichte der deutschen mittelalterlichen Baukunst auf
Anlass der Dominikaner-Kirche in Regensburg (Taf.
XXXII.) ausspricht: die Richtung zur neueren Bau-
kunst bei den Franciskanern und Dominikanern habe
ihren Grund in der Einfachheit , welche ihnen ihre
Verfassung auch selbst im Kirchenbau zur Vorschrift
machte. Die Richtung der Dominikaner und Fran-
ciskaner auf die neue Baukunst , d. h. auf den
Spitzbogenstyl, die allerdings eine sehr entschiedene
62
und vielleicht ausnahmslose war , hatte nicht ihren
Grund in der Einfachheit , sondern einzig in ihrem
Beruf, in dem Predigtamt und in der damit verbun-
denen Notwendigkeit der Erweiterung der Räume
für Hörer durch Schwächung der Säulen und Er-
weiterung der Säulenstellung. Und dies galt für
alle Kirchen. Wie wäre auch sonst erklärlich,
dass plötzlich wie mit einem Schlage der Roma-
nische Baustyl gerade in seiner höchsten Blüthe
aufhört, dass die in diesem Styl bereits angefangenen,
selbst halbvollendeten zum Theil grossen und pracht-
vollen Kirchenbauten nun in der neuen Bau-
art weiter geführt, und überall in Frankreich,
Spanien, England, Deutschland, ja selbst in Italien
neue Kirchen mit noch grösserer Pracht im gothi-
schen Styl erbaut wurden?
Die Kanzel hatte neben dem Altar eine so
hohe Bedeutung in der Kirche eingenommen , dass
sie fortan , jedoch ohne Beeinträchtigung des Altar-
Raums und Chors, vielmehr zugleich zu dessen He-
bung, (wie ein flüchtiger Blick auf die Geschlossen-
heit des Chors und die Offenheit des von der Kanzel
beherrschten Raums zeigt) den Baustyl bestimmt.
Die Kanzel hat den neuen Kirchen-Bau-
styl, den gothischen Bau geschaffen.
Wenn man erwägt, dass die Predigt der Bettel-
mönche den Protestantismus vorbereitete , dass die
Predigt später sich als ein Haupttheil des pro-
testantischen Gottesdienstes geltend machte , und
63
dadurch eben von der katholischen Kirche sich
sondernd in dieser, vielleicht unnöthiger Weise, mehr
und mehr zurücktrat , so könnte es scheinen , als
hatten diejenigen einen gewissen Schein des Rechts
für sich, welche in ihrer Unschuld meinen, die go-
thische Kirche wäre im Grunde die protestantische,
wie die romanische die katholische. Wie irrig die
Ansicht ist , wenn man auf die Entstehung sieht,
braucht nicht gesagt zu werden.
Der Name der gothischen Architektur scheint
weder ein Spottname zu sein, den die Italiener dem
neuen Baustyl , als einem „barbarischen" beigelegt
hätten, noch scheint er sich überhaupt zunächst auf
den Spitzbogen zu beziehen. Vielmehr nannte
man die Bauart der Deutschen gothisch, weil sie
die „Willkürlichkeiten der Gothen (Ravenna) und
Saracenen in kleinen und capriciösen Orna-
menten, in hohen Gewölben und bizarren
Capitälen nachahmten. Zu diesen fügten sie,
sagt Frisi, die spitzen Bögen und so führten sie
den Baustyl ein , den man gewöhnlich die gothische
Architektur nennt." Will man also den Namen
gothische Architektur in germanische Architektur um-
wandeln , kommt man in Gefahr, eine geschichtliche
Erinnerung an ein Element der Entstehung dieses
*) Frisi Saggio sopra l'architettura gotica , ins Deutsche
übersetzt in der (von Herder herausgegebenen?) kleinen Schrift:
„von deutscher Art und Kunst. Harnburg 1773."
64
Styls aufzugeben und nicht den Spitzbogen, der nicht
deutschen Ursprungs ist, sondern ,.die gothischen und
saracenischen Schnörkel, Bizarrerien und Capricen" sich
anzueignen. Bizarres findet sich auch heule selbst
bei den ausgezeichnetsten Werken der Gothik. Das
Wesentliche aber dieses Styls bestand freilich nicht
in den Schnörkeln und Bizarrerien , ' sondern in der
Ueberwölbung weiter Räume durch den Spitzbogen
und in der vollständigen Durchführung des Winkels
statt des Kreises in allem Einzelnen und in dem
grossartigsten Ganzen. Ueberall spricht sich der
Spitzbogen des Innern auch im Aeussern aus. So
wie der vollendete Rundbogenstyl zuletzt von den
Halbzirkeln der Absis und des Querschiffs bis zu
dem kleinsten Ornament die Kreislinie durchführte,
so lag es in dem Wesen des Spitzbogenstyls zuletzt
jede Kreislinie zu vermeiden. Die Absis wurde
eckig und gradlinig, das QuerschifT wieder rechtwin-
kelig abgeschlossen , das kreisrunde Fenster über
dem Portal vermieden , die Spitzbogenfenster nicht
mit geschweifter sondern mit gradliniger Krönung
gegiebelt , die Thürme und Strebepfeiler spitz und
aufstrebend gedeckt und abgeschlossen. In allem
diesem und unzähligem anderem ist der Cölner Dom
das Muster. Möge er nun auch eine Kanzel
bekommen wie St. Stephan, und Prediger
wie Bernhard, Bonaventura und Berthold.
Was übrigens die protestantische und jede
Kirche betrifft ? die wesentlich auch auf die Predigt
65
berechnet ist, so leuchtet ein, dass keiner der frü-
heren Baustyle sich besser für diese eignet, als eben
der gothische. Ein ausgezeichnetes Muster einer
solchen gothischen Kirche , welche der Kanzel das
weiteste Gebiet eröffnet, ist die Liebfrauen-Kirche in
Trier. Vielleicht könnte fraglich sein, ob nicht die
Vergrösserung des Gebiets der Kanzel in neu zu
erbauenden Kirchen noch weiter zu führen sei , als
bisher geschehen. * ) Es giebt wohl wenige Kir-
chen, die eine grössere von der Kanzel überseh-
bare Zuhörer-Menge fassten, als die in ihrem weiten
Raum durch keine Säule unterbrochene grosse Mi-
chaeliskirche in Hamburg. Dieselbe ist im Rund-
bogenstyl erbaut. Wir wagen nicht zu behaupten,
dass derselbe Raum mit derselben Sicherheit sich
hätte im Spitzbogenstyl überdecken lassen. Allein
die schon anderswo mit voller Sicherheit bestehende
und hinreichend erprobte Weite des Spitzbogens
würde für das Bedürfniss der meisten Kirchen, auch
wenn man sie nach einem ähnlichen Grundriss er-
bauen wollte, genügen. Der so früh verstorbene
Eisenlohr hat eine für Offenburg bestimmte gothi-
sche Kirche entworfen, mit vier freistehenden Säulen,
deren nur zwei die Kanzel dem Zuhörer-Raum ver-
decken und zwar nur auf so kleine Ausdehnung, als
die nothwendigen Zugänge zu den Sitzreihen ein-
*) Vgl. Geffken der St. Nicoiai-Kircbenbau. Hamburg 1845.
5
66
nehmen. Dieses Modell scheint sich sehr für ähn-
liche Bedürfnisse neuer oder vergrößerter Gemeinden
zu empfehlen. Dass Hamburg sich eine neue Nico-
lai-Kirche in reinem gothischem Styl erbaut, scheint
uns übrigens sehr entsprechend. Die Jacobi- und
Katharinen-Kirche sind wahrlich keine Muster dieses
Styls, und hätte Hamburg nicht die von Chateauneuf
erbaute neue Petri - Kirche , würde es schwer sein,
daselbst sich einen Begriff von gothischer Bauart zu
erwerben. Dass die Kanzel auch diesen Bau so-
wohl im Plan als in den Säulen beherrscht hat, ist
nicht schwer zu sehen. ?)
Werfen wir nun noch einen Blick auf das zu-
rückgelegte Gebiet von Aegypten bis in unsere un-
mittelbare Nähe, und erwägen die Vereinigung von
Stoff, Form und Zweck, so ist wohl gleich einleuch-
tend, dass der Aegyptische Styl für Länder disseits
des Miltelmeers durchaus nicht anwendbar ist. Auch
ist es, soviel wir wissen, in Europa niemandem ein-
*) In Hamburg war schon 1 227 das Dominikanerkloster
St. Johannis und das Franciskanerkloster St. Maria Mag-
dalena durch Adolph IV. gestiftet. — Die Gesammtzahl der
Franciskanerkloster betrug im Jahr 1264 8000 mit 200,000 Mön-
chen. Dies zur Ergänzung des oben S. 56 Gesagten.
G7
gefallen, im Aegyptischen Styl, zu bauen, es sei denn,
dass man die äussere Stirnseite des „Egyptian house"
in London dahin rechnen wollte, bei welchem der
Aegyptische Styl als D eco rati o n verwandt ist. Man
wird darin höchstens eine Sonderbarkeit erkennen,
die den Nutzen hat, dass sie die Veranschaulichung
eines Aegyptischen Bau's unterstützt.
Die drei übrigen Style , die wagrechte Decke
mit Giebeldach, der Rundbogen und der Spitzbogen,
mit ihren verschiedenen Tragern kommen noch täg-
lich in mannichfacher Weise zur Anwendung. Sollte
nun eine Regel aufgestellt werden, wonach die mensch-
liche Willkühr , — denn sie ist die Ursache der
Unreinheit des Styls — - wieder auf die Reinheit der
Baukunst nach ihrer naturgemassen Entwicklung zu-
rückgeführt werden kann , so würde zu fordern
sein, dass jeder Bau dem Baustoff, den
klimatischen und räumlichenVerhältnissen,
ferner dem Zweck des Bau's entspreche,
d. h. dass sich aus diesen Bedingungen die
Form des Bau's zunächst in seinem Innern
ergebe. Demnächst hätte das Innere des
Bau's die Form desAeussern zu bestimmen,
nicht umgekehrt; noch weniger sei das Eine
von dem Andern unabhängig.
Ist also die Form des Innern im Ganzen und
in seinen Theilen gradlinig mit wagrechter Deckung
der von senkrechten Wänden eingeschlossenen Räume,
so sei auch die Form der äussern structiven Theile
5 *
68
gradlinig, ist die Deckung im Innern rundbogen-
förmig, so erscheine dieses Innere auch äusserlich in
der Deckung der Fenster und Thüröffnung u. s. w.
(Vergl. die romanischen Kirchen.) Ist die Deckung
im Innern spitzbogenförmig, so erscheine dieses Innere
auch äusserlich in der Deckung der Fenster und
Thih Öffnungen u. s. w. (Vergl. die gothischen Kir-
chen). Die rein decorativen Theile seien nach den
vorhandenen Musterbauten jener drei Baustyle ge-
wählt, oder in dem Geist jener Bauarten neu geformt.
(Vorsicht.) —
Jede Abweichung von diesen Regeln macht den
Bau unrein. Nur dem Grossen, Ungewöhnlichen und
Uebermächtigen ist, wie in allen Sphären, so auch
in der Baukunst wohl gestattet, sich von der Regel
Üiit Weisheit zu befreien. Die Halbkugel der
Deckung eines grossen kreisrunden Bau's hebt die
Herrschaft der wagrechten Linien der Mauer nicht
auf. —
Ein Bau in den heute üblichen Bauweisen und
aus dem bisher üblichen Material ist in seiner Ganz-
heit wagrecht und senkrecht abgeschlossen , also
gradlinig, daher harmonirt die gradlinige Mauer, der
gradlinige obere Abschluss der Mauer, der gradlinige
Ansatz und First des Daches mit jedem dieser Bau-
stile.
Es ist für die gewöhnliche Architektur eine
unbedingte Forderung der Reinheit des Bau's , dass
jede Mischung der eharacteristischen Eigentümlich-
69
keiten des einen der drei Baustyle mit denen des
andern entschieden vermieden werde. Es handelt
sich hier sowohl für die Kunst als für das gewöhn-
liche Urtheil besonders um die Facaden oder Stirn-
seiten der Gebäude. Um also mit Kleinem anzu-
fangen , es ist verwerflich über den grade bedeckten
Fenstern abwechselnd eine giebelartige und eine
Rundbogen- Verzierung anzubringen, eine Unart, die
aus Palmyra zu stammen scheint. Es ist verwerflich,
in einem gewöhnlichen Haus die Fenster gradlinig,
die Thür im Bogen zu überspannen, Es ist sehr
verwerflich , an demselben Gebäude die Thür im
Spitzbogen , die Fenster im Rundbogen zu über-
decken. — Da ein Fenster den Zweck hat, Licht
und Luft in die inneren Räume einzulassen, das bes-
sere Licht aber das mehr von Oben kommende ist,
so ist dafür zu sorgen , dass die Fenster in ihrer
ganzen oder je nach dem Styl in möglichster Breite
so hoch hinauf reichen, als die Architektur gestaltet.
Diese Bestimmung gilt im Allgemeinen für grade,
runde und spitzbogige Fensterdeckung. Beim ge-
wöhnlichen gradlinigen Häuserbau mit wagrechter
Decke der innern Räume ist es an sich ein Wider-
spruch , Rundbogen-Fenster oder gar Spitzbogen-
Fenster anzubringen. Abgesehen aber von dem
Mangel an Styl in solchem Gebahren, was geschieht?
Man beraubt sich zuerst des besten Lichtes , denn
dieses wird durch die Mauer der beiden Bogen-
hälften verdeckt, da man immer die Fenster an der
70
Seite eben so hoch führen kann , als in der Mitte :
— man versieht sein Fenster oben mit zwei Schei-
benrahmen , welche entweder nicht zu öffnen sind,
oder wegen der gerundeten Form bald nicht mehr
schliessen ; die innere Verzierung der Vorhänge
nimmt mit Recht aus ästhetischen und ökonomischen
Gründen auf die Rundung gar keine Rücksicht, und
auch aussen sucht der Architekt selber meistens den
Fehler dadurch wieder gut zu machen, dass er dem
Bogen des Fensters ein gradliniges Gesimse giebt.
Kurz , die bekanntlich in neueren Zeiten bei grader
Decke der inneren Räume sehr üblich gewordenen
Bogenfenster sind ebenso wenig in Privathäusern zu
billigen als in öffentlichen Gebäuden, Kranken-
häusern u. s. w., wo, wie bemerkt, nicht nur das
beste Licht durch den Bogen ausgeschlossen, sondern
auch bei der Schwierigkeit, solche Quadrantenfenster
oder gar die als Halbzirkel formirten Klappen -Fen-
ster zu öffnen und zu schliessen , der besten Luft
der Zugang versperrt wird. Den Einwand, dass man
die oft weiten Fensteröffnungen nur im Bogen über-
spannen kann , wird wohl jeder Architekt als einen
nichtigen zurückweisen. Wer aber meint , es sei In
diesen Forderungen doch zu weit gegangen , den
wollen wir einfach auf das Wort des Pindar ver-
weisen, dass die kommenden Tage die wei-
sesten Zeugen.
Wenn nun schon im Einzelnen die Verletzung
der Reinheit des Styls verwerflich ist, wie noch viel
71
mehr, wo es sich darum handelt, das ganze Aeussere
des Bau's in einem Styl aufzuführen , welcher durch
das Innere sofort der Lüge überwiesen wird. Wie
jeder nur Halbkundige es lächerlich finden würde,
wenn dem Cölner Dom die Fagade eines griechi-
schen Tempels gegeben wäre, so ist es durchaus zu
verwerfen, wenn man einem Gebäude, kleinem oder
grossem , dessen innere Räume alle oder meistens
wagerecht überdeckt sind und nach Zweckmässigkeit
es sein müssen , eine spitzbogige oder rundbogige
Facade geben wollte. In dieser Rücksicht sind wohl
die meisten niederländischen Rathhäuser im gothi-
schen Styl zu tadeln. Das Rathhaus zu Brüssel hat
vernünftiger Weise grade überdeckte Fenster , ver-
räth aber um so mehr , dass der gothische Styl
seines Aeussern nichts als Decoration ist. Nun
frage man, ob das heisst, in einem würdigen, oder
überhaupt in einem Styl bauen? Es heisst nichts
anderes, als eine Maske aufführen, wäre sie noch so
schön gearbeitet. Ein solches Gebäude aber auch
im Innern im gothischen Styl bauen, hiesse nicht nur
etwas an sich völlig unmotivirtes thun , sondern auch
einen sehr grossen Höhen - Raum zwischen den Ge-
wölben verschwenden. Auch wäre wohl zu beden-
ken , dass das gothische Gewölbe in der That auf
der Voraussetzung beruht , dass es nur zu decken,
nicht aber auch zu tragen hat. Stockwerke im go-
thischen Styl, eins über dem andern, sind schwerlich
zu billigen , auch wenn man leicht vermeiden kann.
72
die Last des oberen auf die Gewölbe des unteren
selbst zu legen. Bleibe der gothische Styl den Kir-
chen, die ihn geschaffen haben, vorbehalten.
Sind in grösseren Staatsgebäuden Räume feuer-
fest zu überdecken, so scheint das flachere Gewölbe
des Kreisbogens viel zweckmässiger. Und da diese
Räume meistens im Keller und unteren Geschoss
liegen, so wird das äussere Hervortreten des Rund-
bogens durch das ganze Gebäude in derselben Höhe
durchzuführen sein , und zwar in einem Material,
welches der massiveren Bogen-Construction entspricht.
Kleine viereckige Fensterlöcher im Kellergeschoss
unter einem Erdgeschoss (Parterre) im Rundbogen-
styl sind nie schön — eben weil sie incorrect sind.
Man hat es gerühmt , dass die neuen Theile
Hamburgs reich seien an Häusern in den verschie-
densten Stylen; durch die Mannichfaltigkeit der Fa-
nden sei die Stadt für den Reisenden fast eben so
interessant als Nürnberg, und werde es nach einem
Jahrhundert noch mehr sein. Das sei zuge-
geben. Wir glauben, Hamburg wird einen grossar-
tigeren Eindruck machen , als Nürnberg mit seinen
vielen Niedlichkeiten , humoristischen Einfällen und
naiven Absonderlichkeiten. Allein auch in Hamburg
wird man wenige Häuser finden , denen man eine
höhere Kunsttheilnahme zuwenden möchte. Gewiss
ist es sehr interessant , wenn sich die Individualität
einer Zeit , oder selbst des einzelnen Bauherrn in
der Architektur ausspricht, und man kann es hübsch
73
und selbst dankenswerth finden , wenn der Bauherr
oder Baumeister seiner Neigung und seinen Ideen
folgt. Es ist nur zu wünschen, dass dies immer mit
ßewusstsein , mit der richtigen Einsicht in das ge-
schehe, was die Reinheit der Baukunst fordert, und
was sich daneben die individuelle Auffassung mit
Recht erlauben darf. Sicherlich aber werden Hauser
wie Nr. 20 in der Hermannstrasse, Nr. 52 in der Fer-
dinandstrasse, Nr. 23 auf den grossen Bleichen, Nr.
18 am alten Jungfernstieg zu aller Zeit den Ein-
druck eines in der Hauptsache correcten Baus
machen und auch bei der Nachwelt die Anerkennung
gewinnen , auf welche ein gesunder Geschmack und
Verstandniss des Schönen, von dem schon Plato sagt,
„es sei schwer," Anspruch haben. Man braucht
solche Bauten nur mit den meisten andern zu ver-
gleichen, um sich über den Eindruck klar zu werden,
den sie, wie jetzt, so nach hundert Jahren machen
werden ; und sich darüber zu trösten , dass kein
neuer Styl für unsere Zeit erfunden ist , und , so
lange man aus Stein und Holz baut, nicht leicht er-
funden wird. Rein bauen ist die Aufgabe.
In neuerer Zeit bemüht man sich mit einem
grossen Aufwand von Forschung und Zusammenstel-
lung über die Baumeister der berühmtesten Kirchen
und Kathedralen einige Vermuthungen zu gewinnen.
Die Baumeister merkwürdiger Wohnhäuser des Mit-
telalters sind in der Regel völlig unbekannt. Gewiss
ist der Wunsch gerechtfertigt, es mochte der Name
74
des Baumeisters jedes Hauses tu die Stadtbücher
und eventuel in den Kaufbrief eingetragen werden.
Die Nachwelt würde es der Gegenwart danken.
Mit dem Bau einer Kirche, eines Rathhauses,
eines Theaters , einer Wohnung u. s. w. ist die
Aufgabe der Architektur freilich nicht vollendet. Hip-
podamos baute Städte. Wichtiger als alles Einzelne
ist das Ganze. Dem Ganzen sich unterwerfen, ihm
freiwillig Opfer bringen, scheint heut zu Tage für den
Einzelnen meistens sehr schwer, und erscheint man-
chem auch bei andern so unbegreiflich, dass er
geneigt ist , für ein einfaches correctes Verhalten
armselige Motive in seinem Kammerlein auszudenken,
über welche er sich selber weit erhaben glaubt.
Auch nicht leicht scheint es auf der andern Seite,
dass das Ganze und die es vertreten , mit der rich-
tigen Einsicht in die Aufgabe den Muth und die
Energie zur Durchführung verbinden. Paris und
Hamburg haben sich in dieser Beziehung besonders
ausgezeichnet. Der Neubau von Hamburg ist ein
Muster der Beherrschung des Einzelnen durch das
Ganze, ein denkwürdiges Beispiel von Gemeinsinn,
zum Vorbild für jede andere Stadt; auch für solche,
in denen nicht erst ein grosses gemeinsames Unglück
zu gemeinsamem guten Thun auffordert, und zugleich
die Opfer, die dieses verlangt, nur als eine Zugabe
zu dem Hingegebenen und Verlorenen erscheinen
lasst. — Keine Stadt, die einige Aussicht auf Ent-
wicklung und Wachslhum hat, sollte es für unwe-
75
sentlich halten, dass sie sich selber durch Neues und
durch Erneuerung des Alten in einem würdigen,
correcten, reinen Styl aufbaue. Ein weiser Stadt-
plan, der nach Jahrhunderten noch taugt,
eine weise Bauordnung und eine einsichtige
Baupolizei sind u n erl äss lieh e Forderungen
an jede Stadt, die nicht schwach auf sich
selber verzichten, und bei jeder Gelegen-
heit erst dann entdecken will, was sie hätte
thun oder lassen sollen, wenn es zu spät
ist. —
Wer mit der Aeusserung im Anfang dieser
Schrift über den ethischen Charakter der Architek-
tonik einverstanden ist , wird mit Recht wünschen,
dass auch die wissenschaftliche Behandlung dieser
Kunst allewege denselben Character trage. Da des
Erbärmlichen und Thörichten uns im gewöhnlichen
Leben genug begegnet, so ist nicht nöthig, es auch
noch in die Wissenschaft und Kunst zu verschleppen.
Gewiss ist die- Wahrheit in beiden niemals beleidi-
gend , und gleichwol machen wir täglich die Erfah-
rung, dass eine neue Ansicht, sei sie noch so objectiv
gehalten, von denen, die bisher anderer Ansicht hul-
digten, so aufgefasst wird, als wäre ihr nur dadurch
zu begegnen , dass man sich gebahrt , als sei man
verletzt und habe gegen einen unbegründeten An-
griff zu kämpfen. Was in dieser Schrift vorgebracht
ist , soll niemandem einen alten Irrthum zum Vor-
wurf machen : es soll eben nur in ehrlicher Meinung
76
das Wahre aussprechen. Zu architektonischen Ge-
sprächen geben überall die zahlreichen Bauten nah
und fern vielfachen Anlass. Dass bei solchen Unter-
haltungen , an denen sich jeder gerne betheiligt, oft
Unkunde und nur vermeintliches Wissen zu Tage
kommt , ist nicht zu verwundern. Um so mehr ist
zu wünschen, dass in populärer Darstellung eine ein-
fache fassliche Belehrung zugänglich werde. Diese
möge hier gegeben sein. Es ist damit nicht gemeint,
dass nur fremde Ansichten und Aufstellungen in
einer andern , etwa fasslicheren Form wiedergegeben
wären. Vielmehr lag die Ueberzeugung zum Grunde,
dass eben durch die gegebene Nachweisung des Ur-
sprungs der vier hauptsächlichsten Baustyle theils
manche Fragen sich beantworten , manche Ansichten
sich berichtigen, insonderheit aber sowohl das Wesen
als die Reinheit jedes Baustyls für jedermann am
besten sich begründen liesse. Und wie der Un-
verbildete viel geneigter ist , das Gute , als das
Schlechte zu erkennen , so ist es auch viel leichter,
ihm das Wahre begreiflich zu machen, als das Fal-
sche. Möge denn diese Schrift dem Leser erscheinen
als eine solche , die Wahres in leicht begreiflicher
Fassung darstellt.
Kiel, im Sommer 1855.
Druck von C. F. Mohr in Kiel.
Innere ^Ansicht der Stietskirche
zu Geknrode .
Taf IX
INNERE^SICHT DEPlELISABEII ^ IRC HE
ZU MARBURG.
GETTY RESEARCH INSTITUTE
3 3125 01068 9921